Rubens-Buch ein Thema seiner Jugendschrift „Kunstwerke der belgischen Städte" oder
in den Aufsätzen seiner letzten Jahre zur italienischen Kunstgeschichte einzelne Fäden
des „Cicerone" wieder aufzunehmen scheint, so ist das eben nur Schein; es ist ein
ganz neuer Standpunkt, von dem er aus den alten Vorwürfen gegenübertritt, es sind neue
Augen, mit denen er sie ansieht. '
Es ist gewill, daß durch diese seine Behandlungsart in seine Kunstschriftstellerei
ebenso wie in seine Geschichtsbetrachtung ein dilettantischer Zug kam, den er ja auch
selbst wiederholt zugegeben und hervorgehoben hat. Aber freilich ist es ein Dilettantismus
im höchsten Sinn, im Sinne eines Leonardo, eines Montaigne oder Goethes. Dieser Dilettan-
tistnus schließt die Fähigkeit einer fortwährend geistigen und gemütlichen Umwandlung,
Erneuerung, Verjüngung einf Die Geister dieser Art werden nie müde, zu schauen, zu
lernen, zu verstehen; in ihnen versteinert und vermodert nichts. In der Tat, wenn man
die „Erinnerungen an Rubens" liest, so wird man mit C. Neumann" nicht genug über
das leidenschaftliche Schönheitsgefühl staunen können, welches „wie Jugendglut in den
Sinnen und in der Seele des greisen Burckhardt loderte".
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Was man „wissenschaftliche Leistungen" nennt, pflegen auf diese Weise nicht zu
entstehen. Burckhardt hat denn auch solche fast nur in seiner Lehrzeit geliefert; da zeigte
er, daß er so gut wie ein anderer angehender Privatdozent grundgelehrte Monographien
zu klittern verstand: wir erinnern hier nur an seine Aufsätze über die Schweizer
Kathedralen (1838), über die vorgotischen Kirchen am Niederrhein (1843), die Kirche zu
Otmarsheim im Elsaß (1844). Aber sein erstes Buch „Die Kunstwerke der belgischen Städte"
(1842) werden gestrenge Kritiker schon geringschätzig als „Feuilletonismus" brandmarken
können, es ist ein Wanderbuch mit eingestreuten kunstgeschichtlichen Exkursen. Dann
kam die Mitarbeiterschaft an den großen Werken seines Lehrers Franz Kugler, der zweiten
Auflage der „Geschichte der Malerei" (1847), der zweiten und dritten Auflage des „Hand-
buches der Kunstgeschichte" (1848 und 1856). Diese nötigte ihn zu einer systematischen
Durcharbeitung besonders der neueren Kunstgeschichte, er hatte sich der Kuglerschen Art
anzubequemen, mit seiner eigentlichen Persönlichkeit zurückzutreten. Wenigstens aus dem
„I-Iandbuch" lassen sich wohl seine Zusätze meist glatt „herausschälen", aber er ließ doch
die Ansichten Kuglers auch dort, wo er nicht mit ihnen einverstanden war, im großen und
ganzen bestehen (so zum Beispiel dessen überschwengliche Schätzung Correggios).'""
Der „Cicerone", der zwischen die beiden letzten Umarbeitungen fällt (1855), will nichts
anderes sein als ein Führer durch die Kunstschätze Italiens und eine „Anleitung zu ihrem
Genuß", nur daß dabei eine Menge eigener Ansichten des Verfassers hervortreten; es ist ein
viel subjektiveres Buch als Reiseführer sonst zu sein pflegen, und schließt sich insofern an
die „Kunstwerke der belgischen Städte" an. Die späteren Aufsätze über das Altarbild, das
italienische Porträt und die Sammler könnten allenfalls als eine Rückkehr zu den mono-
graphischen Arbeiten seiner Frühzeit angesehen werden, aber er läßt sich hier viel mehr
gehen; es sind doch mehr Essays in der Art der Franzosen, subjektive Betrachtungen
über Erscheinungen der Kunstgeschichte als gelehrte Abhandlungen darüber. Vollends
das Rubens-Buch ist viel mehr ein Dokument für seine eigene Art als für die des Rubens,
obwohl sich darin gewiß auch viele wertvolle objektive Beobachtungen über dessen Kunst
finden. Und so bleibt denn ein einziges Werk, das man als ein in erster Linie wissen-
schaftliches bezeichnen darf: „Die Geschichte der Renaissance in Italien" (1867), bekanntlich
eine Darstellung der italienischen Baukunst in dieser Periode; es ist, von den oben ange-
führten Erstlingsarbeiten abgesehen, das unpersönlichste Buch Burckhardts, eine syste-
' „Le dilettantisrne devient alors une science delicate de la metamorphose intellectuelle et sentimentale."
Bourget, „Essais de psychologie contemporaine", I, 60 (über Emest Renan).
"f In seiner Anzeige dieses Buches in den „Preußischen Jahrbüchern", 1898, Seite 313 u. f.
i" Siehe Philippi, „Begriß der Renaissance" (1912), Seite 134 u. f.