auf die Spuren eines glücklichen Daseins kommt: dies löst in ihm eine Glücksempiindung
aus und auch für uns, für seine Leser wird er einWeiser zum Mitgenuß eines solchen Glückes.
Bisweilen begnügt er sich, den Ausdruck des Glückes in dem Kunstwerk zu konstatieren,
so wenn er von dem bärtigen Dionysos in der Sala della biga des Vatikan sagt: „er blicke
mit hoher Wonne auf die von ihm beherrschte Welt". Die Schalkhaftigkeit der 16 Genien
um die Nilstatue derselben Sammlung ist ihm gleichsam nur ein Ausdruck für „die stille
Seligkeit des gewaltigen Stromgottes". Ein andermal ist ihm das Werk ein Zeugnis für das
Glück seines Schöpfers: so hat er schon bei Homer die Empfindung, daß dieser Dichter
glückselig gewesen sei. Dort, wo er die Behandlung der christlichen Symbolik in der
italienischen Skulptur des XIV. Jahrhunderts bespricht, sagt er: „Wenn man inne wird,
welchen heiligen Ernst und welche Treue Giotto und die Seinigen diesem Gedankenkreise
widmeten, so bleibt kein Zweifel, daß sie davon überzeugt und beglückt waren." Aus den
Bildern des Fra Angelico spricht ihm eine „friedensreiche tiefe Seligkeit" und „auch Murillo
war ja ein innerlich beglückter Mensch". Eine besonders reiche Glücksernte bereitet ihm
Rubens; gleich in der Einleitung seiner „Erinnerungen" sagt er, man treffe in dessen Persön-
lichkeit und Lebenslauf „an so vielen Stellen auf Glück und Güte wie kaum bei einem
andern von den großen Meistern". Claude Lorrain liebt er so, weil dieser „als reingestimmte
Seele in der Natur diejenige Stimme vernimmt, welche vorzugsweise den Menschen zu
trösten bestimmt ist". Mit dem Hinweis auf diesen wie auf Nikolaus Poussin nimmt er im
„Cicerone" bekanntlich Abschied von seinen Lesern, indem er ihnen das ruhige Glück der
Seele wünscht, das er bei Betrachtung der Kunstschätze Italiens genossen hat und „dessen
Erinnerung ihm selbst aus den schwachen Nachbildungen jener hohen Meisterwerke so
übermächtig entgegenkommt". E. Guglia
RAÜTOFFS „NICOLAS PQÜSSIN"."' Der Versuch einer Bibliographie über
Poussin umfaßt bei Grautoff 13 gespaltene Quartseiten; und doch fehlte unter dieser
Fülle an Material die eigentliche, wissenschaftlich zusammenfassende Monographie über
den klassischen Franzosen. Grautoff bietet sie hiemit; als ein monumental angelegtes
Werk in zwei starken, mit Abbildungen sehr reich ausgestatteten Bänden, deren erster
den Text und die Exkurse, deren zweiter Katalog und Abbildungen der Gemälde enthält.
Das Buch ist - vor dem Kriege - aus der Pariser Umwelt des Autors heraus ent-
standen, in einem künstlerisch und literarisch sehr vorgeschrittenen und entwickelten
Kreise, dem Romain Rolland, L. Hautecourt, Derain und andere Matisse-Nachfolger
angehörten, aus der neuerwachten Liebe zu der Größe und Gesetzmäßigkeit in Poussins
Werk, dessen Bedeutung gerade die den Impressionismus ablösenden Stilsucher voll
erkannten. Nicht was Poussin zum sogenannten Klassizisten stempelte, sondern was in
ihm lebensfähig und Anregung für die folgenden Jahrhunderte war, hat Grautoff betont.
Ja, er kann nicht nachdrücklich genug wiederholen, daß der Klassizismus nur eine und
nicht die wertvollste Seite der Kunst Poussins bildet, daß seine ausschließliche Beschlag-
nahme für den akademischen Klassizismus eine Geschichtsfalschung der französischen
Akademiker seit Lebrun darstellt, und daß es in der Mannigfaltigkeit und dem Reichtum
seiner Entwicklung Momente gibt, die nicht nur auf die vergangene französische Malerei,
sondern auch noch auf Gegenwart und Zukunft zu wirken vermögen. So hat Poussin auch
uns noch manches Lebendige zu sagen, so sehr wir geneigt sein mögen, ihn als eine
historisch abgeschlossene fremdsprachige Größe zu betrachten und zu bewundern.
Den I-Iauptnachdruck legt Grautoff auf die Herausarbeitung seiner künstlerischen
Entwicklung, in die er alle seine bekannten Bilder einfügt, mit genauen Analysen jedes
einzelnen. Über die tastenden Anfänge seiner Pariser und ersten römischen Zeit gelangt
er zu der barocken Periode, die so bezeichnete Stücke enthält wie die Marter des
heiligen Erasmus und den bethlehemitischen Kindermord: in ihnen nimmt es Poussin mit
" Otto Grautoh} „Nicolas Poussin. Sein Werk und sein Leben". Zwei Bände. München und Leipzig,
Georg Müller, 1914.