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FÜNF ZIG JAHRE WIENER KUNSTGEWERBE-
SCHULE 3th VON ALFRED ROLLER-WIEN S0
S entspricht dem Ernst unserer Zeit, daß der Tag,
an dem die Kunstgewerbeschule des Österreichi-
schen Museums das fünfzigste Jahr ihres Bestehens
vollendet hat, unbetont durch festliche Veran-
staltungen vorübergehen mußte. Möge an Stelle
solcher folgende Rück- und Ausschau treten.
Als geistiger Urheber der Schule ebenso wie
des Museums ist zweifellos Eitelberger anzusehen.
Das kaiserliche Handschreiben an Erzherzog
Rainer, das die Gründung des Österreichischen
Museums anordnet, datiert vom 7. März 1863. Eröffnet wurde das Museum
am 31. Mai 1864. Aber schon vom Jahre 1863 an beeinflußt es die Zeichen-
schulen in den nordböhmischen Glasbezirken Haida und Steinschönau, regt
die Gründung einer solchen Schule in dem I-Iauptorte für Kleinglasindustrie
Gablonz an, befürwortet die Errichtung von Holzschnitzschulen in I-Iallein
und Gröden, erkennt aber gleichzeitig die Notwendigkeit der Schaffung einer
„Hochschule für Kunstgewerbe in Wien" (Festschrift des Österreichischen
Museums 1871, Seite 13).
Allein, die frische Begeisterung, die das junge Museum begrüßt hatte, war
verHogen und die Jahre 1864 und 1865 bringen einen Schriftwechsel zwischen
der niederösterreichischen Handels- und Gewerbekammer als Antragstellerin
und dem Staatsministerium, in dem jede dieser beiden Stellen der anderen
die Begründung einer Kunstgewerbeschule zuzuschieben trachtet, deren
Bestand übrigens allseits als eine „unabweisliche Notwendigkeit" anerkannt
wird. Endlich siegt der Hinweis der Kammer auf -die Last, die ihr durch
die Erhaltung der neugegründeten Exportakademie erwachse, und das
Ministerium verlangt im Dezember 1865 von der Museumsdirektion Vor-
schläge für die Errichtung einer Kunstgewerbeschule in Wien. Sie werden
durch Eitelberger in einer vom 3. März 1866 datierten Denkschrift erstattet
("Mitteilungen des Österreichischen Museums", II, 14, vom 15. November
1866) und am 18. Februar 1867 vom Unterrichtsrat genehmigt. Im Juni ist
das Statut der neuen Anstalt unter tätiger Mitwirkung Van der Nülls fertig-
gestellt und erhält am 21. September 1867 die Allerhöchste Genehmigung.
In Storck, Laufberger, Sturm, König und Rieser werden 1868 die ersten
Professoren ernannt, das Kuratorium entsendet seine Mitglieder Brücke,
Engerth, Ferstel und Reckenschuß in den Aufsichtsrat der Schule, und am
15. Oktober 1868 wird die Anstalt eröffnet „als oberste Schule für das Kunst-
gewerbe" („Das Österreichische Museum und die Kunstgewerbeschule",
Hölder 1886, Seite 58).
Im folgenden Jahre bildet sich auch die „Gesellschaft zur Förderung
der Kunstgewerbeschule", die bedürftigen Schülern das Studium ermöglicht.