verteilung und die besprochene Kopfstudie, als Ausdruck angewandter
Messungen, aber ergeben zusammengefaßt doch eine genügende Handhabe,
um über die Bildung und über die Kunstanschauungen, in denen sich
Brustolon bewegte und zu denen er sich bekannte, etwas Einblick zu
erhalten. All das sind Äußerungen eines Ambientes (auch wenn man die
etwas naive, vor Mißverständnissen nicht gefeite Auffassungsgabe des Bild-
schnitzers nicht außeracht läßt), wie es in der zweiten Hälfte des XVII. jahr-
hunderts mit weit ausstrahlender Nachwirkung ziemlich allgemein vor-
herrschte. Wie etwa die Kopfstudie teils den zahlreichen für die Unter-
weisung der angehenden Künstler verfaßten Zeichenbüchernf teils den
Lehren Charles Lebruns (l, Expression des passions) sich nähert; wie ferner
dieses allenthalben dokumentierte Suchen nach einem Lehrgebäude der
Expression, der Ordonnance, der Gesetze des Kolorits und der Propor-
tionen des Körpers (dessen Norrnalmaß an der Figur des Herakles Farnese
geaicht war) in jenen Vorstellungskreis sich einschließt, der in Testelins
berühmtem lehrhaftem Tabellenwerk „Sentimens des plus habiles peintres
sur la pratique de peinture et sculpture mis au table de preceptes" sein
doktrinäres Resurne erfuhr.
Die Anregung zu dieser mehr oder minder lockeren Einbeziehung
Andreas in die doktrinären Lehren der eigenen Epoche wird wohl nicht
automatisch in die einsame Werkstätte gelangt sein. Eine in der jugendzeit
erworbene Erweiterung des Gesichtskreises, Erlebnisse, die solchen Studien
des Alters vorausgingen, sie bedingten und anbahnten, voraussetzen zu
dürfen, scheint nicht unwahrscheinlich. Das Museo Correr besitzt eine mit
den Initialen A. B. bezeichnete Holzkopie des Marc Aurel," die gleich einer
Statue einer büßenden Magdalena, die an Beminis heilige Theresa zu
erinnern scheint, als Bürgschaft für die von der Literatur vertretene Ansicht
betrachtet wird, daß Andrea in seiner Jugend eine Romreise unternommen
habe. Den Wunsch, die ewige Stadt zu besuchen, dürfte in ihm übrigens sein
Lehrer erweckt und genährt haben. Es scheint durchaus möglich, daß die
Überlieferung, die seine Studienjahre bei Filippo Parodi (1630 bis 1708) ver-
legt, die richtige ist. Parodi, ein direkter Schüler Lorenzo Berninis, hatte in
Genua, seiner Vaterstadt, gleichzeitig mit Puget (San Maria di Carignano usw.)
gewirkt."""' Aus seiner Tätigkeit in Venedig (Grabmal des G. Fr. Morosini
[i 1688] in der Tolentini-Kirche) und Padua besitzt besonders die letzte
"' Über diese Zeichnungsvorlagen wird von rnir eine Arbeit vorbereitet; andere Fragen, die hier herein-
gehören, werden in meinem im Druck befindlichen Artikel („Graphische Künste", Beiblatt rgrg) über die ästhe-
tischen Anschauungen Carlo Marattas besprochen werden.
H Für das Weiterleben solcher l-Iolzkopien nach der Antike beachte man die wenig bekannten lebenden
Worte, die Lessing über Franz Xsver Messerschmidt in seinem Tagebuch der italienischen Reise (r775) äußert:
„Messerschmid, Bildhauer in Rom, der aber nur in Holz schneidet, aber sehr gut." (Wir wissen, daß eine Holz-
nachbildung Messerschmidts nach dem Herakles Farnese sehr gerühmt wurde.) Das sind Äußerungen des
bekannten Prozesses, in dessen Entwicklung die Bronzestatuette immer mehr an Schätzung verliert und durch
Elfenbein-, Holz- und Porzellanfiguren ersetzt wird.
"i" Soprani-Ratti, „Le vite dei pinori . . . Genovesi", 1768, vol. II. - Florence lngersoll-Smoure, „La
sculpture a Gänes aux XVI] siecle", „Gazette des beaux ans", 1914, Seite n. - Gonzati, „La basilieardi San
Antonio di Padova", 1853, I, 96, 188; 11, 3x2 f. - Suida, „Genua", Leipzig 1906.