als den dokumentarisch festgestellten Ent-
stehungsort der Passauer Kanzel, werden wir
den jungen Donner in erster Linie als den
Schöpfer der Kanzel im Dom zu Passau in
Betracht zu ziehen haben.
Der zBjährige Raphael Donner wohnte
damals in Wien im Heiligenkreuzerhoff"
Gleichzeitig mit der vermutlichen Bestellung
der Kanzel war der junge Meister nicht nur
in nächster Nähe Passaus, sondern auch im
Auftrage eines dem Passauer Fürstbischof
außerordentlich nahestehenden Personen-
kreises beschäftigt. Im Jahre 1721 schuf er
nämlich in Linz im Auftrage des Grafen
Johann Josef Leopold Philipp Harrach den
bildhauerischen Fassadenschmuck der Ka-
pelle des Deutschen Ritterordens und gleich-
zeitig auf Befehl des Bruders seines Auftrag-
gebers, nämlich des Salzburger Erzbischofs
Franz Anton Grafen von Harrach, den Mar-
moraltar in der Kapelle des Harrachschen
Schlosses in Aschach an der Donau." Der
Passauer Fürstbischof Raimund Ferdinand
Graf Rabatta war daher zweifellos über die
in seiner Diözese entstehenden Schöpfungen
des jungen Meisters, welchen Graf Harrach
in seinen Aufschreibungen „den beriembten statuarius" nannte, genau
unterrichtet und nichts war naheliegender, als daß er den jungen Künstler,
der alle Zeitgenossen zu überflügeln begann, für die Schaffung der neuen
Kanzel in seiner hohen Domkirche heranzog.
Daß diese Vermutung begründet ist, beweist die stilkritische Unter-
suchung der Kanzel.Schon dieornamentaleVerzierung des unteren Brüstungs-
wulstes der Kanzel ist eng verwandt mit der ornamentalen Zier der Predellen-
wulste des Aschacher Altars. Auch die zarten Akanthusspiralen der Kanzel-
rückwand finden wir in recht ähnlicher Weise in den Zwickeln des Bildfeldes
am Aufsatze des Aschacher Altars wieder (Abb. 1)."?
Viel kategorischer als solche kleine ornamentale Übereinstimmungen
weisen uns aber einige Figuren der Kanzel in Donners Kunstkreis. Die
weibliche Figur zur Linken der Kanzelrückwand (Abb. 3) ist schlagend
verwandt mit dem linken Engel der Elemosynarius-Kapelle in Preßburg,
Abb. z. Gurk, Domkanzel
' Unter anderen mehr vgl. E. Tietze-Conrat in Thieme-Beckers „KünstlerlexikorW, Band g.
'" 11g. „Donners und Hildebrands Wirken für den deutschen Ritterorden in Linz" in „Mitteilungen
der Zentralkommission", N. F. 1896, 2:. Band, z. Heft, Seite 8x HZ, und E. Tietze-Conrat, „Unbekannte Werke
von Georg Raphael Donner" in „Kunsrgeschichtliches Jahrbuch der Zentralkornmission" xgo5.
v" Vgl. E. Tietze-Conrat, „Unbekannte Werke von G. R. Donner", Abb. 73 und Tafel VI.