einem Phidias gleichstelltenä kann dieses neuentdeckte Frühwerk des
Meisters von größter Bedeutung werden. Mehr als andere seiner Werke
scheint mir diese Schöpfung, insbesonders wenn ich einzelne Figuren, wie
etwa die des Evangelisten Lukas, ansehe (Abb. I3), noch die Spuren der
italienischen Wanderjahre zu verraten. Besonders wenn ich mich der
Hochaltarkomposition der Erlöserkirche in Venedig erinnere, so scheint mir
Giuseppe Mazza, nach dessen Entwurf der Altar aufgestellt worden sein
soll, in der Art, wie er seine Figuren der Gesamtkomposition anfügt, wie
er den Kontrapost verwendet, wie er einzelne Figuren bildet, wie etwa
den heiligen Sebastian links neben dem oberen Ölbergrelief, dem jungen
Donner manche Anregung vermittelt zu haben. Mit dieser Feststellung würde
ich, wenn auch auf verschiedenem Wege, zu einem ähnlichen Resultat
über die Beziehungen Donners zu Italien kommen wie E. Tietze-Conrat in
ihrer verdienstvollen Studie." Zweifellos aber hat der junge Meister, der
nicht nur die heimatlichen, sondern auch die meisten seiner italienischen
Zeitgenossen als Künstler überragte, in seinen späteren Werken nichts
kopiert, was er im Süden sah. Er hat nur die mannigfachen Anregungen zu
einem höchst persönlichen Stil in sich verarbeitet. Gerade die Motive der
tektonischen Funktion von Umrißlinie und Kontrapost sind echt nordische,
aus der gotischen Kunst erwachsene Momente, welche Donner deutlich mit
der heimatlichen Tradition verbinden.
In Passau allerdings scheint der junge Meister mit seinem epoche-
machenden neuen Werk zunächst nicht allzu großes Verständnis gefunden
zu haben. Sein Auftraggeber Fürstbischof Raimund Ferdinand Graf von
Rabatta war am 25. Oktober 1722 gestorben und dessen Nachfolger Josef
Dominikus Graf von Lamberg trug sich allsogleich mit dem Gedanken, die
neue Kanzel weitgehend abzuändern, eventuell sogar durch eine neue zu er-
i setzen. Was den Herren in Passau an dem Werk mißiiel, ist dokumentarisch
nicht feststellbar, wahrscheinlich hatten sie für die neue tektonische Funktion
der Figuren wenig Verständnis und gewiß erregte auch die künstlerische,
ganz der Renaissance würdige Kühnheit, die Evangelisten Markus und
Matthäus nackt darzustellen, manch Nasenrümpfen. Jedenfalls hatte man in
Maria Taferl, als man x726 die Kanzel kopierte, die Figuren wieder schön
aufrecht und gerade, nach altgewohntem Schema, auf den Brüstungsrand
gesetzt, die Evangelisten wieder ziichtig bekleidet und in Nichtverständnis
für die neuen tektonischen Funktionen der Figuren auch für die Evangelisten
Matthäus und Johannes am Brüstungsrand Platz geschaffen?" Über die
Abänderungspläne für die Passauer Kanzel geben uns einige Akten-l- des fürst-
' Leopold Fischer nennt Donner in seinen „Ruhmwilrdigste Taten des Grafen Emerich Esterhazy"
(U46): „Den berühmtesten Meister, bei welchem Phidias und Praxiteles ihrer Zeit Lehrjungen zu sein, fiir das
größte Glück gehalten hätten."
H E. Tietze-Conrat, „Georg Raphael Donners Verhältnis zur italienischen Kunst" in „Kunstgeschicht-
liches Jahrbuch der Zentralkommission", 1907.
"W Vgl. A. Plesser. „Beiträge zur Geschichte der Wallfahrt und Pfarre Maria Taferl", St. Pölten 1913,
Seite zu, und „Österreichische Kunsttopographie", IV, mit Abbildung a. a. O.
"y Kreisarehiv Landshut, Rep. x13, F. 3, Nr. n.