im österreichischen städtischen Kunsthandwerk steht gewiß mit dieser sich
immer wiederholenden Blutzufuhr in engem Zusammenhange. Auch das
rudolfinische Stadtrecht übernimmt diesen Grundsatz der Freizügigkeit und
dehnt ihn auch ohne die Einwirkung so schwerer Zeitereignisse, welche die
Ottokarschen Mandate begründeten, über Wien hinausgehend unter anderem
auf Wiener-Neustadt, Stein und Krems aus. Aber erfüllt von der Einsicht
in die technisch-wirtschaftlichen Grundlagen handwerklicher Arbeit, ist man
weit davon entfernt, an absolute und dauernde Gewerbefreiheit zu denken.
Die gewerbetechnischen Vorschriften, welche auf bewährten Überlieferungen
ruhten, die alten Anordnungen über die Erziehung des Nachwuchses bleiben
ebenso aufrecht wie die ständige fachmännische Überwachung der Qualität
der gewerblichen und kunsthandwerklichen Arbeit. Vorbildlich ist und bleibt
die Beweglichkeit der wirtschaftspolitischen Maßnahmen je nach Bedarf,
welche mit vollemBewußtsein jede Erstarrung und Verknöcherung ausschließt
oder zu bekämpfen trachtet, sobald sie in die Erscheinung tritt. So wird das
Tor, das Ottokar und Rudolf geöffnet hatten, nach einiger Zeit wieder ge-
schlossen, um späterhin in den Zeiten der furchtbaren Verheerungen durch
die Pest abermals geöffnet zu werden. Zog man in den vorausgegangenen jahr-
hunderten gewerbetüchtige Elemente hauptsächlich aus den nächstgelegenen
Gebieten heran, so kamen nunmehr unter Rudolf IV. Einwanderer nicht nur
aus Niederösterreich, sondern auch aus Mähren und Böhmen, aus Bayern und
Thüringen, aus Brandenburg und abermals aus Flandern. Wir sehen also
durch diese ganzen Zeiten früher und stärker als anderwärts das Verständnis
lebendig und wirksam für die staatswirtschaftliche Bedeutung eines sich
immer aufs neue regenerierenden, technisch und künstlerisch sich entwickeln-
den Handwerks. Die produktive Arbeit steht unter der Leitung einer in
gewissem Sinne zentralistischen Organisation, Handel und Gewerbe werden
in ihrer staatlichen Stellung erkannt und genießen eine Fürsorge, welche
stets das Allgemeine im Auge behält und bei allen Ordnungen und Neuord-
nungen die Hebung des Nationalwohlstandes als das Ziel des Strebens
betrachtet. So und nur so konnte die in lebendiger Entwicklung erhaltene
und immer neue Anregungen und schöpferische Kräfte in sich aufnehmende
Wiener Handwerkskunst jene vollendete Geistigkeit entfalten und sich zu
solcher Höhe des Gestaltungsvermögens emporringen, wie wir es bei dem
Baue und der Ausstattung von St. Stephan wahrnehmen, dessen Hütte weit-
reichenden Einfiuß gewann und mittelbar und unmittelbar alle Gewerbe in
Tätigkeit setzte und dadurch ihre Wirtschaftlichkeit gefestigt und vertieft
hat. Erlangt die Wiener Bauhütte ihre vorherrschende Stellung erst im
XV. Jahrhundert, so zeigt sich auf dem Gebiete der Goldschmiedekunst
Wiens außerordentliche Bedeutung doch schon im XIV. Jahrhundert. Der
unbekannte Meister, der zwischen 1322 und x329 die Ergänzungsarbeiten
am Klosterneuburger Altaraufsatz des Nikolaus von Verdun ausführte, damit
ein sehr merkwürdiges, frühes Beispiel historischer Versenkung und Erneue-
rung gebend, erhebt sich in der frei schöpferischen Leistung des Kl0sterneu-