TOPOGRAPHIE, OROORAPHIE.
1. TOPOGRAPHIE.
Wiens geographische Lage ist zweimal zum Gegenstände von Untersuchungen o- e macht
worden. J. G. Kohl 1 ) hat im Jahre 1874 und der Geographieprofessor A. Penck 2 ) 20 Jahre
später die Lage Wiens behandelt und beide sind zu einem übereinstimmenden Resultate gelangt
Dieses besteht irn wesentlichen darin, daß unsere Metropole am Knotenpunkte zweier großer'
den Kontinent durchsetzender Verkehrswege, der westöstlichen Donaustraße und der alten
„Bernsteinstraße , die aus dem mediterranen Süden durch Zentraleuropa an die nordische
Bernsteinküste führte, gelegen ist. Die leichte Verkehrsmöglichkeit nach allen Seiten, vor allem
in das mährische und dadurch norddeutsche und polnische Land, in die oberen sowie unteren
Donaulandschaften, in das Alpengebiet und dadurch auch an die Adria bietet in der Tat nicht
so bald ein Ort längs der Donau, welche vor dem Eisenbahnzeitalter einen wichtigen Ver
kehrsweg darstellte. Es erscheint daher begreiflich, wenn nach den Stürmen der & Völker
wanderung die schwäbisch-fränkische Besiedelung Niederösterreichs unter den Babenbergischen
Herzogen nach einigen tastenden Versuchen sich Wien als Zentralpunkt auserkor.
Zu jener Zeit, etwa um das Jahr 1000 unserer Zeitrechnung, mochten allerdings andere,
weniger weit ausblickende Gründe für die Wahl Wiens gesprochen haben; so vor'allem die
leichte Verteidigungsmöglichkeit, indem der Donaustrom, das tief eingeschnittene Wienflußbett
und das Kahlengebirge gute natürliche Verteidigungswerke der damals eng gezogenen Siedelung
bildeten. Dann schien auch die Rückzugslinie in die fränkische Heimat, falls Invasionen
durch feindliche Reiterscharen drohten, durch die Position Wiens bedeutend gesicherter als
beispielsweise durch jene Carnuntums, des Hauptlagers der Römer. Dieses, zwischen Petronell
und Altenburg gelegen, war auch schon wegen der Nähe der ethnographischen Grenze
keineswegs so sicher wie Wien und hatte letzterem gegenüber auch Nachteile hydrographischer
Natur, die, wie eine Abhandlung des k. k. Hydrographischen Zentralbureaus 3 ) gezeigt hat,
in der größeren Breite des Inundationsgebietes (9 km bei Petronell gegen 6-5 km bei & Wien’
Hochwasser 1862) und in dem häufigeren Auftreten von Eisstößen zu suchen sind. Die größere
Stromverwilderung bei Carnuntum, zu Römerzeiten ein Vorteil, war für den Herrn der Ostmark,
der auch an dem Besitztum nördlich der Donau großes Interesse hatte, eine Erschwernis'
Für Wien aber bildete das fruchtbare Marchfeld ebenso ein die Approvisionierung förderndes
leicht erreichbares Hinterland wie der nahe fruchtreiche „Wiener Boden“ und wie die sonnigen
Rebenhange am Ostrande des Wienerwaldes. Auch die Siedelplätze im Tullnerfelde mußten
wegen der Attacken der Donauhochwässer dem alten Vindobona nachstehen. So siegte diese
zunächst infolge ihrer lokalen Vorzüge über verschiedene Rivalinnen, unter denen besonders
das benachbarte Klosterneuburg anzuführen ist.
Waren es zunächst die kleineren lokalen Vorteile, welche Wien als Zentrum prädesti
nierten, so kamen, als die Ostmark ein festeres Gefüge erhielt, und besonders als die Habsburger
mit großer Zähigkeit ihre Vorherrschaft erweiterten, jene obengenannten großzügigen Momente
für die Entwicklung Wiens zur vollen Geltung. Der für jene Zeiten leichte Wasserweg und
parallel damit eine Heeresstraße ermöglichten einen schwungvollen Handel mit Süddeutschland
Von Wien aus konnten die Produkte deutschen Gewerbefleißes nordwärts ins mährische,
schlesische und polnische Land leicht verfrachtet werden, ebenso donauabwärts. Nach Böhmen
öffnete sich die Gmünder und Iglauer Senke. Am meisten Schwierigkeiten bot noch der Süd-
j) geographische Lage der Hauptstädte Europas. Leipzig 1874, S. 248.
Bd. XXXV D S. M5 graphiSChe LagC VOn W ‘ en in ” Schrif,en dcs Vereines zur Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse in Wien“.
Wien 1903 EinflUß der Eindämraun e des Marchfeldes auf die Stromverhältnisse der Donau. Beiträge zur Hydrographie Österreichs.
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