nicht mehr erschüttern, das sorgenvolle Gebilde der Sphinx über ihrem
I-Iaupte ihr nichts weiter anhaben; sie hat die Siegesgöttin als deutlichen
Ausdruck ihrer inneren Gemütsstimmung ruhig schwebend auf ihrer gesenkt
vorgestreckten Rechten; ihre Linke ruht gesenkt auf dem Rande des Schildes.
Diese Haltung beider Arme läßt nicht nur die unübertreffliche Geschlossenheit
der formalen Außenlinie der Parthenos entstehen, er verleiht ihrem Wesen
bei aller ihr einverleibten Kraft jene milde bezwingende Macht, die förmlich
suggestiv den vollkommenen Frieden auf den empfänglichen Beschauer
überströmen läßt; es berührt uns unmittelbar wie der pulsierende Rhythmus
der idealen Vollkommenheit. Worte sind nicht imstande, diesen Eindruck zu
fassen; mit Staunen hat man das durchgeistigteste Ideal in vollkommenster
Körperlichkeit vor Augen. - Und diese hohe, logisch zwingend begründete
Freude innerlichsten Friedens mag nun der Cellafries mit seinem Hymnus
an die Freude feiern, wie mit einem unendlichen Dankgesang.
So hat sich die künstlerische Persönlichkeit des Phidias zu erhabenster
Größe vor unserem Geiste erhoben, wie nur je die eines alles in seine Werke
einschließenden Dichters und Denkers. Über allen Raum und alle Zeit
hinweg reicht er uns freundlich seine mächtige Hand, daß wir sie dankesfroh
ergreifen mögen, um immerfort aus dieser vermittelnden Berührung des
heimatlichen Bodens aller wahrhaft menschlichen Kultur stets neuen Lebens-
mut zu schöpfen.
PROBLEME DER ORIENTALISCHEN TEPPICH-
GESCHICHTE so- VON RUDOLF BERLINER-
MUNCHEN so- 7
INE wirkliche Geschichte desorientalischen Teppichs
würde sich vor die Lösung folgender zentraler
Probleme gestellt sehen: 1. vor das entwicklungs-
geschichtliche des Wann und Wo des Werdens,
der Grundlagen, der Ausbreitung, der Ausstrahlung
usw.; 2. vor die technologischen und formalen;
3.vor die systematisch-ornamentalen mit Einschluß
der ethnologischen, endlich 4. vor die kunstkenner-
lichen Probleme, also vor all die Fragen, die mit
der zeitlichen und örtlichen Einordnung des Einzel-
stückes zusammenhängen. In Angriff genommen sind bisher nur Teile dieses
gewaltigen Fragenkomplexes, und es wird weiterer intensivster Kleinarbeit
bedürfen, bis der Hoffnung auf Erkenntnis der Entwicklung Erfüllung winkt.
Ich beschränke hier meine Untersuchungen auf einige wenige Punkte, deren
Erhellung mir besonders wichtig erscheint, da sie sich nicht isoliert betrachten
lassen wollen, sondern immer die Beachtung des Gesamtproblems fordern.