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Volltext: Monatszeitschrift XXIV (1921 / Heft 1, 2, 3 und 4)

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Liebe zum Gegenstand ist ein veraltetes Hemmnis geworden, sie wird aufgezehrt 
von dem unbekümmetten Drang nach starken Wirkungen auf das Auge und nicht für den 
Sinn. Das tiefste Geheimnis der Natur, das Wunder ihrer unerschöpflichen Gestaltungs- 
kraft, verschließt sich dem bloß farbentrunkenen Auge, das am Feuerwerk der Buntheit 
Genügen findet. So nähern sich die Arbeiten wieder den Äußerungen einer vergangenen 
Zeit, die noch vor kurzem als überwunden galt und bekämpft wurde, weil sie ähnliche 
Ziele verfolgte. 
Das zweckvolle Gestalten angewandter Kunst, das Durchdringen unseres Lebens bis 
zum Bedürfnis des Alltags mit Edelarbeit, mit konstruktiver und formaler Qualität war die 
bedeutende Aufgabe, die so viele künstlerische Kraft festhielt. Wir sind noch sehr weit 
von der Erfüllung entfernt und schon zeigt sich ein Abschwenken zu den leichteren Erfolgen 
persönlichen Linien- oder Farbenspiels. 
Ornamentale Zeichner und wirkungsgewandte Maler streben wieder die Macht an, 
die am Ende des vorigen Jahrhunderts so verhängnisvoll wurde, weil sie einen Abstieg von 
der erreichten Höhe des Kunstwillens, das auf die Gesamtheit des Schaffens gerichtet war, 
eingeleitet hat. 
HAG ENBÜND. Die vereinigten graphischen Sammlungen des Staates, jetzt in der 
Albertina zusammengeschlossen, haben im Hagenbund eine Auswahl moderner 
Werke zur Schau gestellt. So wurde uns die Genugtuung, zu sehen, welche Schätze auch 
auf dem Gebiete neuer Kunst Wien jetzt beherbergt, daß unsere Sammlungen auch hier 
nicht zurückgeblieben sind. Der Vorwurf der Rückständigkeit wurde wirksam entkräftet, da 
junge und jüngste Krähe neben den führenden Meistern moderner Graphik eingeteilt wurden. 
Den Mittelraum - in gewissem Sinne das Zentrum der ganzen Schau - nahm das Werk 
Edvard Munchs ein. Die elementare Kraft dieses nordischen Künstlers lebt sich in großen 
energisch gesetzten Zügen aus. Sein Strindberg-Porträt ist ein prächtiges, besonders be- 
zeichnendes Werk, neben dem andere graphische Interpretationen von starker Fern- und 
Augenblickswirkung, aber auch phantasievolle Stimmungsbilder von musikalischem Rhyth- 
mus den reichen Inhalt einer starken produktiven Persönlichkeit ausdrücken. Wie einst in 
der Literatur der packende Realismus neben der tiefen Symbolik skandinavischer Dichter auf 
das germanische Kunstschaffen fruchtbringend einwirkte, so ist auch in der Graphik der 
knappe Ausdruck der Nordländer vorbildlich geworden. Die Deutschen folgten in raschem 
Aufschwung und heute ist - besonders in Lithographie und Holzschnitt - eine Wucht und 
Breite erreicht, die der deutschen Graphik eine bedeutende Stellung verschafft. Barlach, 
Lehmbruck, Nolde, l-leckel, Kirchner, auf österreichischer Seite Kokoschka, Schiele, Melzer, 
Fischer, Jungnickel und andere mehr bilden eine stattliche Schar, deren stärkster Bahn- 
brecher wohl in Munch zu suchen sein mag. 
Anders gestimmt ist die romanische Formvollendung und Einfühlung, die den Fran- 
zosen führende Stellung verschaffte. Der Impressionismus des Manet-Kreises ist nicht ver- 
schwunden und treibt in Liebermann, Slevogt und anderen noch heute auf deutschem 
Boden Blüten. 
Daß auch die Kunst Cezannes, Gaugins, van Goghs mit graphischen Arbeiten gut 
repräsentiert ist, erleichtert das Verständnis für die prächtigen Arbeiten französischer 
Expressionisten, die durch Picasso, Marc und andere vertreten sind, welche dem Reiz der 
andeutungsweisen, suggestiven Linie, dem flüchtigen und bizarren Urnriß huldigen. 
Man fühlt den Einiiuß Ostasiens, sowohl in Frankreich wie bei uns, man kann 
Einzelerscheinungen wie Rodin und Klimt verfolgen und so die Graphik als Handschrift 
persönlicherArt wie als typischen Ausdruck des Ringens und Schaffens nationaler Wesensart 
verstehen. Besser wie eine große Bilderschau vermittelt ein solcher graphischer Überblick 
den starken und tiefen Eindruck modernen Kunstschaffens, 
das über Völkergrenzen hinweg 
die Verwandtschaft geistigen Strebens verkündet.
	        
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