genommen. Schon 1894 begann die „Geschichte der Theater Wiens" und die Vorbereitung
zu den „Bilderbogen für Schule und Haus", beides Werke, die der Gesellschaft viel Sorge
bereiteten. Zahlreiche große Einzelblätter von Sonnenleiter, Jasper, Hecht, Doris Raab,
W. Unger: das Venusfest, das Allerheiligenbild, das Porträt der Königin Henriette, die
Holbein-Madonna, die Dresdener Saskia gingen nebenher, ebenso wie eine ganze Reihe von
illustrierten Büchern."
Noch in der Zeit der Vollkraft Wiesers vollzog sich auf dem Boden der „Gesellschaft
für vervielfältigende Kunst" der Wandel von der retrospektiven zur modernen Kunstauf-
fassung, von der reproduzierenden zur originalen Graphik, von der literarisch-schöngeistigen
zur streng wissenschaftlichen Kunstbetrachtung. Es war kein Kampf, der sich gegen Wieser
abspielte. Dieser feinfühlige, immer mit der Zeit gehende Mann konnte und mochte sich
dem neuen Geiste, der das Kunstschaffen ergriffen hatte, nicht entziehen. Es übte auf die
von ihm zur Mitarbeit herangezogenen jungen Kräfte im Verwaltungsrat und Sekretariat
tiefen Eindruck, wie dieser an Jahren alte, im Herzen und Wesen aber immer jugendlich
gebliebene Mann sich mit der neuen Zeit auseinandersetzte. Selbstverständlich nicht als
Stürmer und Dränger, aber als hochinteressierter Beobachter und Förderer alles Starken, Per-
sönlich-Schöpferischen, dessen Denkweise und Haltung sich so vorteilhaft von jener kon-
servativ genannten, tatsächlich weltfremden Kunstgesinnung unterschied, die jede Ver-
änderung des Bestehenden als Unrecht und persönliche Beleidigung enpfindet. An seinem
Grabe, in das er nach schwerem Siechtum im Frühjahre 1902 gelegt wurde, hatten
ihm seine jungen Freunde auch für jene ivorbildliche Objektivität zu danken und durften
aussprechen, daß sie es als eine besondere Gunst des Schicksals betrachteten, mit
diesem seltenen Manne in enge, für ihr ganzes Leben wertvolle geistige Verbindung
gekommen zu sein und von ihm die stärksten Impulse empfangen zu haben. Einen bedeut-
samen Schritt von der ausschließlich reproduzierenden zur originalen Graphik hat die
Gesellschaft schon 1895 getan, die internationale Ausstellung anläßlich ihres 25jährigen
Bestandes führte unmittelbar zur Gründung der nur für Originalarbeiten vorbehaltenen
]ahresmappe. Sehr bald traten Jettmar (1898), Orlik (1899), Schmutzer (1900) im Rahmen
der Gesellschaft auf. Aber schon 1890 hatte Bode in den Graphischen Künsten über Klinger,
Stauffer-Bern und Ernst Moritz Geyger geschrieben. Die Beziehungen zur reproduzierenden
Graphik wurden gleichwohl so lange aufrecht erhalten, als der Altmeister W. Unger, dem
die Gesellschaft so viel Dank und so viel Popularität schuldet, in voller Kraft stand: 1902
erschien sein Blatt nach Stucks Bacchantenzug, 1904 der Titus, 1906 das Selbstbildnis
Rembrandts. Der letzte Kupfersüch wurde 1900 ausgegeben. Immer strenger und geschlos-
sener wurde die kunstwissenschaftliche Betrachtung der Graphik aller Zeiten und Völker
betrieben, die Sekretäre Graul, Masner, Dörnhöffer befanden sich hierin in vollem Einver-
nehmen mit Wieser und dem Verwaltungsrate.
Nach Wiesers Tod ergab sich die Notwendigkeit, das Gefüge der Gesellschaftsarbeit
gemäß den neu gewonnenen Anschauungen auszugestalten und einen Abbau hinsichtlich
jener Unternehmungen vorzubereiten, die eigentlich außer dem Rahmen des eigentlichen
Gebietes der Gesellschaftsaufgaben lagen und teilweise auch in ihren Grundlagen erschüttert
waren. So wurde das Bilderbogenwerk 1902, das Theaterwerk, das leider ein Torso blieb,
da dieVolksbühne nicht mehrbehandelt werdenkonnte, 190g abgeschlossen. Das umfassende
Werk über die vervielfältigende Kunst der Gegenwart wurde organisch mit dem Bande
über die Lithographie (1903) beendet. Das Galeriewerk aber wurde fortgesetzt und die
wissenschaftliche Forderung nach genauester Reproduktion erfüllt durch Bodes Heraus-
gabe der Galerie Kann (1902), wobei nicht mehr wie bisher Radierungen, sondern Helio-
gravüren zur Verwendung gelangten. 1907 veröffentlichte dann G. Glück die Galerie Tritsch,
1917 die Galerie Lilienfeld. Die kunstgeschichtliche Richtung kam auch in den weiteren
Geschichtswerken - für die schaffenden Künstler nicht minder wertvoll wie für die
"' 1895 erschienen die „Phantasien im Bremer Ratskeller" von Schwaiger, 1897 Andersens „Prinzessin
und der Schweinebirt" von H. Leder, beide Werke bereits vom modernen Geiste durchdrungen.