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durchdringenden Beobachtung, durch die es dem Künstler gelungen ist, das psychologische
Problem so zu lösen, daß das Porträt dem Beschauer das Original nach dem Wesentlichen
seines ganzen Wesens darlegt. Seitdem sind die trefflichen lebensgroßen Bildnisse der
Grafen Ludwig Tisza, Julius Kärolyi und Julius Andrassy entstanden. In allen diesen
Schöpfungen, ja selbst in seinen Damenbildnissen ist der Meister seinem Grundsatz treu
geblieben: Achtung vor der Wahrheit. Dem vornehmen Realismus seiner Kunst wider
strebt es, sich mit den Scheinerfordernissen einer aus der Mode gerathenen Kunst des
„Jdealisirens" abzufinden.
Auf weniger strengen künstlerischen Grundsätzen beruht die liebenswürdige und
besonders durch eine elegante Leichtigkeit einschmeichelnde Porträtkunst des in Ödenburg
geborenen Heinrich von Angeln Auf der Landesausstellung sah man von ihm drei
prächtige Damenbildnisse und in allen dreien erschien seine Kunst als der berufene Dolmetsch
weiblicher Schönheit.
Der dritte bedeutende Bildnißmeister Ungarns ist Leopold Horowitz, der bisher
gewöhnlich in Warschau lebte und sich dort allgemeiner Beliebtheit erfreute. Vor einigen
Jahren noch wußten Wenige, daß er in Ungarn geboren sei, und er bekräftigte dies auch
nicht in der Heimat, sondern auf der Wiener Weltausstellung 1873 in der ungarischen
Kunstabtheilung, wo er einige Porträts ausstellte und dafür ausgezeichnet wurde. Auch
auf der Landes-Ausstellung von 1885 war er sehr reich und würdig vertreten. Große
Aufmerksamkeit erregte er, namentlich-bei den Damen, durch sein zart empfundenes
Genrebild eines Ehepaars, das mit einem Säugling tändelt. Den echten, großen Erfolg
aber erntete er bei diesem Anlaß mit dem ganz hervorragenden lebensgroßen Bildniß
der Fürstin Sapieha. Das interessante Antlitz, die fein gezeichnete majestätische Gestalt
der betagten Dame blieben im Gedächtniß des Beschauers als Musterbild wahrer Vor
nehmheit haften, Kunstkenner und Kunstfreunde aber genossen überdies voll gerechter
Bewunderung die überaus edle und geistvolle Technik dieses Werkes. Diese aufrichtige
Würdigung brachte den Künstler wieder in nähere Berührung mit seinem Vaterland, wo
er seither durch die Bildnisse Johann Aranys, Maurus Jökais, Franz Pulszkys, August
Treforts und anderer Berühmtheiten den Ruhm seines Namens noch vermehrt hat.
Unter den in der Heimat lebenden Malern, die sich hauptsächlich mit Porträts
befassen, ist gegenwärtig Georg Vastagh der gesuchteste. Die Steigerung der öffentlichen
Aufmerksamkeit und der Anforderungen, die jetzt auch hierzulande an Porträts gestellt
werden, hat auch auf seine Kunstübung erfrischend gewirkt. Seine in der Regel sorgfältig
gearbeiteten Werke zeigen sein Talent spannkräftiger, die Ergebnisse seiner Leistung über
das Niveau einer anständigen Befriedigung des Alltagsbedürfnisses hinausreichend, was
auch als Beweis für die Heilsamkeit des edlen Wettstreits dienen mag. Unter seinen älteren