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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1866 / 6)

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Ausführung imposant da, wo es auf Wirkung im Ganzen und aus der Entfernung ankommt, 
in den Facaden , Hallen, Stiegenhliusern u. s. w., die gross, weit, prächtig angelegt sind. 
Im Innern stört schon die Häufung und Ueberladung des dem Auge näher gerieben 
Ornaments, die scheinbare Durchbrechung des Plafonds, welcher nicht mehr mit Bildern 
geschmückt, sondern zu einem grossen Bilde mit blauem Himmel, Wolken und einem 
Wust von mythologischen und allegorischen Figuren wird, einem Wust Hi: jeden Be- 
schauer, welcher nicht zufällig den einzig richtigen Staudpunct für das perspectivisch ge- 
dachte Gemälde findet. Das Ornament nimmt jedes freie Plätzchen in Anspruch, Figuren 
kleben und hängen an allen Wänden und Decken, und schon beginnen die Künsteleien 
und Spielereien mit Spiegeln, farbigen Gläsern u. dgl. m., welcher sich dann mit besonderer 
Lust die folgende, die Bncocozcit, hemichtigte. Auch in dem plastisch-architektonischen 
Ornamente begegnet man noch den constrnctiven Formen der Barockzeit, welche zuerst 
freier und schwungvoller behandelt, bald übertrieben und ausachweifend, phantastisch, der 
Natur wie jedes Styls spottend erscheinen. Diese Manier pflanzte sich fort auf Möbel, 
Tapeten (in welchen - Gobelins - anfangs ein leichter Styl und Neigung fiir die Arsbeske 
vor-geherrscht hatten), Kleiderstotfe, so dass der Mensch an seinem Körper dieselben Formen 
trug, welche auf seinen Möbeln, an den Wänden, in der Architektur erschienen. Trug so 
die ganze Kunst den Stempel des Geschmacks Ludwigs, so blieb auch die freie Natur 
nicht verschont, sondern musste sich dem Mass und der Linie fügen. Der Wald, ge- 
schnitten und geschoren, wurde zur geraden Wand, zur Coulisse, der Berg zur Ebene, zum 
Parterre, das Wasser musste rauschen und springen, wie die Laune der Besitzers es be- 
gehrte, und diese Kunstbauten aus lebendigen Blinmen, Rasen, Felsen und Wasser wurden 
durch dieselbe französische Mythologie bevölkern welche ihr Wesen in den steinernen Ge- 
bäuden trieb. Der französische Garten ward ein Bsstandtheil oder doch eine Ergänzung 
der Architektin, im Gegensatz zu dem italienischen, welcher zwar auch in Harmonie mit 
der Architektur trat, aber nicht ihr Diener, sondern der Vermittler zwischen Kunst und 
Natur war, dem kleinlich abgezirkelten holländischen Blumengarten und dem englischen 
Park, welcher die Natur bis unmittelbar an das Wohnhaus führt. 
Siebente Vorlesung. Die vorletzte Vorlesung führte die IZuhörer von den An- 
fingon bis zum Ausgangs des Rococo. Auf das Zeitalter der Staatsperrücke folgte jene 
des Zopfes nicht unmittelbar; Sitte und Geschmack, welche sich dem allmächtigen Willen 
Ludwigs XIV. fügten, zuletzt sogar auf sein Gebot hatten fromm werden miilsm, rlichten 
und cntschiidigten sich zunächst durch volle Zügellosigkeit unter der Regentschaft. Doch 
kehrten sie bald zu bestimmten Formen zurück, die den früheren verwandt, doch nicht die 
früheren selbst waren. Man war der falschen Grossartigkeit des pathetischen Wesens müde 
und machte zur Losung: vice la Bagatelle! - man war nicht mehr wiirdevoll, sondern 
launisch und leichtfertig, das Sinnbild der vorhergegangenen Periode, das pompöse Ge- 
bäude aus falschen Locken, schrumpft zusammen, wird gebunden und gesteiR zum Zopf, 
der salonfähig wird durch den Haarbeutcl; er repräsentirt eine Zeit, die geziert, kleinlich, 
capriciös, dabei philisterhaft lächerlich und eben so falsch und leer ist, wie die frühere. 
Das bewegende Princip sind Liebe, Genusssucht, leichtes sorgloses Dahinlehen. Dies Wesen 
kommt von Frankreich nach Deutschland, aber vergebens bemüht man sich hier, auch die 
französische Grazie nachzuahmen, nur die Sittenlosigkeit findet Eingang. Dazu kommt in 
Deutschland als neues Moment die Soldatenliebhaberci der Fürsten, die Ausbildung des 
steifen militärischen Wesens und des Kamaschendienstes, welcher zum Erfinder des Zopfes 
wurde, du er das frei wallende oder gelockte Haar nicht brauchen konnte. 
Derselbe Geist der Regellosigkeit, der Liebe, des Genusses, welcher in der Gesell- 
schaft herrschend geworden war, prägt sich allen Künsten auf, die kein anderes Ziel mehr 
kannten, als zu gefallen, zu unterhalten. Im Aeusscrn der Architektur wurde ein Unter- 
schied kaum wahrnehmbar, an das Innere aber und das Ornament stellte eiu verändertes 
Gesellschaftsleben neue Anforderungen. Der Hof war nicht mehr allein massgebend im 
Reiche des Geschmacks, die Literaturwurde wieder zur selbstständigen Macht, die Ency- 
klopädisten erschütterten alle bisherigen Begride, der Salon trat abermals in den Vorder- 
grund des ölfentlichen Lebens, aber in demselben wurde nicht mehr ernste Conversation 
gepflegt, sondern leichte „cuuaer-ie", die über alles geistreich plaudert und bündelt. Sie be- 
diugte andere Decoration und Einrichtung der Gemächer, die schwere Ornamentik, die 
grossen Gemälde waren ihr zu schwer und ernst, sie schmückte ihre Winde mit Liebes- 
göttern und Hirten, wollte überall nur Zärtlichkeit und Galanterie sehen, verbannte die 
ganze mythologische und Heroengesellschaft bis auf die Gestalten aus Ovids Liehesgedichten. 
Zur matuerie" gehörten auch bequemere, gefälligere Möbel. Das Ornament lehnte sich 
an die Formen der Muschel und der regellcsen Tropfsteingebilde an, die gerade Linie war 
verpönt, die geschweifte gefiel sich in den capriciösesten Abweichungen und Unterbrechun- 
gen, der chinesische Geschmack fand nicht hlos im Porcellau, einem jener Zeit besonders 
zussgcnden Stode, allgemeine Nachahmung. 
Als Kinder einer Zeit ohne Ideale konnten die bildenden Künstler von der Antike 
so wenig lernen wie von der Schönheit eines Raphael und der Grösse eines Michel
	        
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