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Ausführung imposant da, wo es auf Wirkung im Ganzen und aus der Entfernung ankommt,
in den Facaden , Hallen, Stiegenhliusern u. s. w., die gross, weit, prächtig angelegt sind.
Im Innern stört schon die Häufung und Ueberladung des dem Auge näher gerieben
Ornaments, die scheinbare Durchbrechung des Plafonds, welcher nicht mehr mit Bildern
geschmückt, sondern zu einem grossen Bilde mit blauem Himmel, Wolken und einem
Wust von mythologischen und allegorischen Figuren wird, einem Wust Hi: jeden Be-
schauer, welcher nicht zufällig den einzig richtigen Staudpunct für das perspectivisch ge-
dachte Gemälde findet. Das Ornament nimmt jedes freie Plätzchen in Anspruch, Figuren
kleben und hängen an allen Wänden und Decken, und schon beginnen die Künsteleien
und Spielereien mit Spiegeln, farbigen Gläsern u. dgl. m., welcher sich dann mit besonderer
Lust die folgende, die Bncocozcit, hemichtigte. Auch in dem plastisch-architektonischen
Ornamente begegnet man noch den constrnctiven Formen der Barockzeit, welche zuerst
freier und schwungvoller behandelt, bald übertrieben und ausachweifend, phantastisch, der
Natur wie jedes Styls spottend erscheinen. Diese Manier pflanzte sich fort auf Möbel,
Tapeten (in welchen - Gobelins - anfangs ein leichter Styl und Neigung fiir die Arsbeske
vor-geherrscht hatten), Kleiderstotfe, so dass der Mensch an seinem Körper dieselben Formen
trug, welche auf seinen Möbeln, an den Wänden, in der Architektur erschienen. Trug so
die ganze Kunst den Stempel des Geschmacks Ludwigs, so blieb auch die freie Natur
nicht verschont, sondern musste sich dem Mass und der Linie fügen. Der Wald, ge-
schnitten und geschoren, wurde zur geraden Wand, zur Coulisse, der Berg zur Ebene, zum
Parterre, das Wasser musste rauschen und springen, wie die Laune der Besitzers es be-
gehrte, und diese Kunstbauten aus lebendigen Blinmen, Rasen, Felsen und Wasser wurden
durch dieselbe französische Mythologie bevölkern welche ihr Wesen in den steinernen Ge-
bäuden trieb. Der französische Garten ward ein Bsstandtheil oder doch eine Ergänzung
der Architektin, im Gegensatz zu dem italienischen, welcher zwar auch in Harmonie mit
der Architektur trat, aber nicht ihr Diener, sondern der Vermittler zwischen Kunst und
Natur war, dem kleinlich abgezirkelten holländischen Blumengarten und dem englischen
Park, welcher die Natur bis unmittelbar an das Wohnhaus führt.
Siebente Vorlesung. Die vorletzte Vorlesung führte die IZuhörer von den An-
fingon bis zum Ausgangs des Rococo. Auf das Zeitalter der Staatsperrücke folgte jene
des Zopfes nicht unmittelbar; Sitte und Geschmack, welche sich dem allmächtigen Willen
Ludwigs XIV. fügten, zuletzt sogar auf sein Gebot hatten fromm werden miilsm, rlichten
und cntschiidigten sich zunächst durch volle Zügellosigkeit unter der Regentschaft. Doch
kehrten sie bald zu bestimmten Formen zurück, die den früheren verwandt, doch nicht die
früheren selbst waren. Man war der falschen Grossartigkeit des pathetischen Wesens müde
und machte zur Losung: vice la Bagatelle! - man war nicht mehr wiirdevoll, sondern
launisch und leichtfertig, das Sinnbild der vorhergegangenen Periode, das pompöse Ge-
bäude aus falschen Locken, schrumpft zusammen, wird gebunden und gesteiR zum Zopf,
der salonfähig wird durch den Haarbeutcl; er repräsentirt eine Zeit, die geziert, kleinlich,
capriciös, dabei philisterhaft lächerlich und eben so falsch und leer ist, wie die frühere.
Das bewegende Princip sind Liebe, Genusssucht, leichtes sorgloses Dahinlehen. Dies Wesen
kommt von Frankreich nach Deutschland, aber vergebens bemüht man sich hier, auch die
französische Grazie nachzuahmen, nur die Sittenlosigkeit findet Eingang. Dazu kommt in
Deutschland als neues Moment die Soldatenliebhaberci der Fürsten, die Ausbildung des
steifen militärischen Wesens und des Kamaschendienstes, welcher zum Erfinder des Zopfes
wurde, du er das frei wallende oder gelockte Haar nicht brauchen konnte.
Derselbe Geist der Regellosigkeit, der Liebe, des Genusses, welcher in der Gesell-
schaft herrschend geworden war, prägt sich allen Künsten auf, die kein anderes Ziel mehr
kannten, als zu gefallen, zu unterhalten. Im Aeusscrn der Architektur wurde ein Unter-
schied kaum wahrnehmbar, an das Innere aber und das Ornament stellte eiu verändertes
Gesellschaftsleben neue Anforderungen. Der Hof war nicht mehr allein massgebend im
Reiche des Geschmacks, die Literaturwurde wieder zur selbstständigen Macht, die Ency-
klopädisten erschütterten alle bisherigen Begride, der Salon trat abermals in den Vorder-
grund des ölfentlichen Lebens, aber in demselben wurde nicht mehr ernste Conversation
gepflegt, sondern leichte „cuuaer-ie", die über alles geistreich plaudert und bündelt. Sie be-
diugte andere Decoration und Einrichtung der Gemächer, die schwere Ornamentik, die
grossen Gemälde waren ihr zu schwer und ernst, sie schmückte ihre Winde mit Liebes-
göttern und Hirten, wollte überall nur Zärtlichkeit und Galanterie sehen, verbannte die
ganze mythologische und Heroengesellschaft bis auf die Gestalten aus Ovids Liehesgedichten.
Zur matuerie" gehörten auch bequemere, gefälligere Möbel. Das Ornament lehnte sich
an die Formen der Muschel und der regellcsen Tropfsteingebilde an, die gerade Linie war
verpönt, die geschweifte gefiel sich in den capriciösesten Abweichungen und Unterbrechun-
gen, der chinesische Geschmack fand nicht hlos im Porcellau, einem jener Zeit besonders
zussgcnden Stode, allgemeine Nachahmung.
Als Kinder einer Zeit ohne Ideale konnten die bildenden Künstler von der Antike
so wenig lernen wie von der Schönheit eines Raphael und der Grösse eines Michel