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von dem eigcnthiimlichen Geiste, der dort geherrscht; das Denken und Fühlen dieser Leute
concentrirte sich in dem Streben, Alles zu thun und zu vollbringen zur Ehre Gottes.
In dieser Weise ging ans den Elementen der alten Kunst der einheitliche Gedanke
der Kunst des 14. Jahrhunderts hervor.
Während früher jeder Orden unter seinen Mitgliedern fdr jede Richtung künstlerischer
Thätigkeit die nöthigen Kräfte zählte, war jetzt nicht mehr daran zu denken, Alles durch
die Genossenschaft des Klosters zu leisten; es mussten Laien heigezogen werden; die Kunst
musste eindringen in das Leben, sie musste immer weitere Kreise ergreifen und durchdringen.
Dieser Uehergang erfolgte so unmerklich, dass die ganze strenge Eintheilung des Kloster-
lebens unwillkürlich überging auf das Leben der Kunst. Auch im bürgerlichen Leben ent-
standen Brüderschaften (Zünfte) von Genossen desselben Berufszweiges.
Die Ziinfte des 14. Jahrhunderts wnren von dem Gedanken getragen, dass nur Ein-
tracht stark macht; in ihnen beruhte die Macht des Bürgerthums und unter ihrem kräftigen
Schutze erblühten Künste und Wissenschaften. Jeder freie Mann einer freien Stadt musste
einer Zunft angehören, selbst die Ritter waren in Ziinfte vereinigt.
In dem Augenblicke, wo die einzelnen Zweige der Kunstrichtungen anfhörten unter
einheitlicher Leitung zu stehen, wurden unwillkürlich anders Eindiisse wahrnehmbar,
welche den inneren Zusammenhang der einzelnen Zweige andösten. In ihrem Höhepunkte
wird die Kunst des Mittelalters beherrscht von einem einheitlichen Gedanken, und sie kennt
keine Widersprüche der einzelnen Zweige. Von da ab wuchs allerdings noch die technische
Vollendung (namentlich in der Kunst der Goldschmiede, im Steinmetzhandwerk u. s. f.),
allein der einheitliche Gedanke und die einheitliche Wirkung ging allmählich verloren.
In diesem Urastande liegt ein Fingerzeig für alle Zeit, wie es mit der Behandlung
der Kleinkunst zu halten ist; es ist Pdicht der hohen Kunst, die Kleinkiinste im innigsteu
Zusammenhangs mit sich zu erhalten, weil sonst der Gedanke der Kunst darüber verloren
geht. Ein besonderes Interesse gewähren die Instrnctionen der Zünfts jener Zeit, deren
Entstehung nach der Meinung des Sprechers über das I4. Jahrhundert nicht zuriickreicht,
und die geographische Eintheilnng Deutschlands hinsichtlich das Bauhandwerks in vier
grosse Gruppen, welchen die Banhütten von Stzassburg, Cöln, Zürch und Wien verstanden.
Der Grossmeister der Strassburger Bauhütte war dcr oberste Baumeister in ganz Deutschland .
Durch Sendboten der vier Bauhütteu (wandernde Meister und Gesellen) wurde der geistige
Zusammenhang unter denselben hergestellt. Diese Hütten wurden nach ungeschriebenen
Gesetzen verwaltet, jede hatte ihre Besonderheiten. Jeder Baumeister hatte sein besonderes
Werkzeichen, zur Erkennung der Person und der Arbeiten; nie bedienten sich zwei Bau-
meister oder Steinmetze desselben Zeichens; der Annahme desselben musste eine strenge
Prüfung vorangehen.
Besonders charakteristisch für jene Zeit, in welcher die Kunst über-ging aus dem
Leben der Klöster in das bürgerliche Leben, ist die Art und Weise, wie die Gebäude da-
mals mit Malerei versehen wurden;
Wenn wir mit diesen Leistungen die so üppige Durchführung der Malerei in der
Antike vergleichen, so zeigt sich ein snsserordentlicher Contrast.
Der Malerei des Mittelalters fehlt wesentlich jene Lebendigkeit des Colorits und sind
die Gemälde, namentlich des früheren Mittelalters, mehr als colorirte Zeichnungen denn als
vollkommene Bilder zu betrachten.
Einen grossen Einfluss auf die Entwicklung der Wandmalerei übte indessen auch
das Auftreten der Glasgemälde, und wir finden, dass in dem Masse, als die Glasmalerei an
Ausdehnung und Bedeutung gewann, die Bemalung der Wanddächen im Innern vernach-
lässigt wurde, bis sie sich zuletzt nur noch auf Altargemälde und decorative Malerei an
einzelnen Baugliedern beschränkte.
Die Blüthezeit der mittelalterlichen Wandmalerei ist daher in der vorgothischsn Epoche
zu suchen. Die Sculptur des Mittelalters konnte ebenfalls nicht zu jener Höhe der Ent-
wicklung gelangen, wie die der Griechen. , _
Die Bedingungen ihrer Anwendung, die Grundsätze des Christenthumes, klimatische
und andere Verhältnisse gaben ihr jene mehr ascetische Richtung, welche unläugbnr, wenn
auch ihrerseits vollkommen berechtigt, einer formellen sinnlichen Entwicklung hindernd in
den Weg trat.
Die Leistungen des Mittelalters auf dem Gebiete der Malerei und Plastik, wenn sie
auch in Bezug auf richtige Kö enseichnung n. s. f. nicht allen Anforderungen genügen,
sind doch in hohem Grade beac tenswerth. Es geht ein Hauch von lnuigkeit und Adel
durch die oh schwach gezeichneten Werks, der bis dahin in der Sculptur und Malerei
nicht zum Ausdruck gelangt war.
Manche Kunstwerke aus dieser Zeit, wie die goldene Pforte in Freiburg, die Figuren
des Münsters zu Strassburg und der Liehfrsuenkirche zu Trier treten weit hervor aus dem
Rahmen ihrer Zeit und gehören mit zu dem Schönsten, was die Menschheit je auf dem
Gebiete der Kunst geschaffen hat.