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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe I (1866 / 12)

weitere Ausbildung des bei ihnen beschädigten Lehrlinge begünstigen, aber eine Anshlt, 
welche die Lehrlinge der bisher oft üblichen Ausnutzung entzieht und zuweilen den Mei- 
stern Concurrenz macht, schwerlich sehr gerne sehen, so werden, wenn nicht noch beson- 
dere Auskunftsmittel auslindig gemacht werden, die Gemeinden, Handelskammern, Be- 
zirke u. s. w. für die erste Zeit eintreten müssen. Auch möchten wir die ernste 
aufwerfen, ob nicht die Wohltbätigkeitsfonde zur Mitwirkung herbeigezogen werden sollen? 
Immer allgemeiner verbreitet sich die Ueberzeugung, dass das blosse Almosengeben in vielen 
Fällen mehr schadet als nützt, dass auch das blosse Anweisen einer beliebigen Arbeit nur 
den Charakter einer vorübergehenden Aushilfe trägt, dass aber die Quellen der Armuth 
und des Elends nur durch die Erziehung der heranwachsenden Generation zu einer dauernden, 
lohnenden Arbeit verstopft werden. Diese Entwicklung unterstützen, heisst odenbar die 
edelste, dem Geiste der Gründer dieser Fonde am meisten entsprechende Wohlthätigkeit 
üben. Eine solche Wohlthätigkeit weckt nicht Armntb, wie es sonst oft geschieht, sondern 
sie strebt nach dem idealen Ziel sich selbst überflüssig zu machen, indem sie die verdig- 
baren Summen dann für die freilich unter dem vielgeplagten Menschengeschlecht niemals 
ausgehenden Bescbwernisse und Bedürfnisse von Alter und Krankheit verfügbar macht. 
In Belgien hat man hierüber die schlagendsten Erfahrungen gesammelt. So wurden in 
einem einzigen dandrischen Bezirk von circa 130.000 Einwohnern an Armenunterstützung 
gezahlt: im Jahre 1845 323.082 Frcs., 1846 636.530 Frcs., 1847 677.726 Frcs; im Jahre 
1851 aber, nachdem die Lebrwerkstätten kaum vier Jahre bestanden, waren nur noch 
27l.375 Frcs. erforderlich; also bedeutend weniger wie in dem sonst normalen Jahre 1845! 
Die Ausgabe fiir jone Ateliers war also selbst im unmittelbarsten, eng anfgefassten Wort- 
sinn eine Ersparung! Sollten nicht unsere Kronlande diesem Beispiele folgen? In Ober- 
österreich bestehen nach Mittheilungen der Linzer Handelskammer mehr als 300 Humani- 
tätsanstalten mit einem Vermögen von 2'], Millionen und jährlichen Mitgliederbeiträgen 
von d. 50,000: welcher Segen könnte nicht aus so reichen Mitteln sprossen, wenn auch 
nur ein kleiner Theil den oben erwähnten Zwecken gewidmet würde! Der Voranschlag des 
Lendesfonds von Niederösterreich beziffert für 1866 an Ausgaben fir ödentliche Sicherheit 
d. 189.000 (darunter d. 10.000 fiir Schiiblinge l) und d. 670.000 fiirWohltbätigkeitsanst-alten, 
egen für Unterrichtswesen d. 128.940 (allerdings mit einem Mehr von d. 14.000 im Ver- 
gleich mit dem Vorjahr): sollte nun nicht die Versetzung einer ausgiebigen Summe aus den 
beiden ersten in die dritte Rubrik ein wahrer „Woblthiitigkeitsacü sein? 
Am nächsten ließ die Errichtung solcher Musterwerkstiitten in den Grossstädtßn, 
sowie in jenen Industriegegenden, wo eine einzige Beschäftigung vorherrscht. In kleineren 
Städten wird 0d nicht die genügende Anzahl Schüler zusammenkommen, um darauf eine 
Fachschule zu gründen. Eier wird man sich in der Regel darauf beschränken, an der um 
einen oder zwei Jahrgänge erweiterten Volksschule jenen praktischen Lehrgegenständen, 
die, wie Zeichnen, die Anfangsgründe der Physik und Chemie, Buchhaltung und kaufmän- 
nisches Rechnen, allen Gewerben gemeinsam sind, besondere Pdege zuzuwenden. Aber 
auch an kleinem Orten könnten geschickt gewählte Lehrwerkstätten dadurch sehr nützlich 
werden, dass sie neue Zweige einzubürgern und das Handwerk zu einer dir weitere Con- 
sumtionskreise arbeitenden und eine grössere Personenzahl emlibrenden Industrie zu er- 
heben vermögen. Solche Lehrwerkstätten würden eine Concentration der Arbeit und als 
Gegenpol eine natürliche Theilung der Arbeit begünstigen und sich auch als wichtige Pdauz- 
stütten des uns noch sehr fehlenden Genossenschadswesens, insbesondere der Productiv- 
genossenschaft, erweisen. 
Hand in Hand mit der Enichtung solcher Werkstätten dir die praktische Arbeit 
unter Tags müsste eine weitere Ausbildung des abendlichen Fortbildungsunterrichts gehen. 
Durch Tüchtigkeit der Lehrkrlide wird derselbe an Qualität einzubringen haben, was ihm 
etwa an Quantität entzogen wird. Kürze der Zeit wird Concentrirung der Kraß erzeugen. 
Ueberhaupt ist es ganz irrig, dass wässerige Breite dem jugendlichen Geiste angemessen sei; 
was er bedarf ist Anregung, - und hier würden wir auf dieVorzüge des Anschauungs- 
unterrichts, womit man in England so ganz ausserordentliche Resultate erzielt hat, 
zu sprechen kommen, wenn uns nicht dies Thema dir diesmal zu weit abführen würde. 
Das Gebiet des Facbunterrichtes ist übrigens endlos, und ein geschickter Anbau 
desselben würde selbst dir Privatspeculationen lohnend sein. In Wien würde eine tüchtig 
angelegte Glirtnerschule gewiss einem Bedürfniss entsprechen. Ebenso wohltbiitig als ren- 
t-abel müsste auch die Abhaltung von Lehrcursen in der Buchhaltung dir Frauen und Mild- 
cheu sein; in Frankreich ist bekanntlich, zum grossen Vortbeil der Gescbäde und der Stel- 
lung der Frauen selbst, die Buchführung vielfach den Frauen überlassen. Das ist jedenfalls 
die beste Art der Emancipation, wo die Frauen, ohne der Familie, ihrem eigentlicbouWir- 
kungskreis, entzogen zu werden, dem Manne und seiner Unternehmung ordnend und hel- 
fend zur Seite stehen. Aber auch ganz allgemein würden an vielen Orten des Kaiserstaates 
kurze Lehrcursc über praktisches Geschäftsleben, z. B. das Verfahren bei Gründung eines
	        
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