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Nach der Weltausstellung von 1862 äusserte der Berichterstatter der französischen
Abtheilung der internationaler: Jury, Herr Merimä, Folgendes: „Seit der Weltausstellung
von 1851 und selbst seit der von 1855 wurden ungemeins Fortschritte in ganz Europa
gemacht, und obwohl wir nicht still standen, so können wir uns doch nicht verhehlen,
dass der gewonnene Vorsprung abgenommen hat, dass er sogar daran ist, zu verschwin-
den; mitten unter den von unseren Fabrikanten davon getragenen Erfolgen ist es eine
Pflicht für uns, daran zu erinnern, dass eine Niederlage möglich, dass sie sogar in einer
nicht fernen Zukunft vorauszusehen ist, wenn sie nicht von jetzt an alle Anstrengungen
machen, um einen Vorrang zu behalten, den man nur unter der Bedingung ununterbro-
chener Vervollkommnung behauptet."
Diese Mahnung gab den ersten Anstoss zur Gründung der „Union centrale des
Beaux-Arts appliques b. l'Industrie." Ihre Aufgabe war: Gründung eines Museums für
die Kunst-Industrie, verbunden mit einer Bibliothek, einer Zeichneuachule und regel-
miissiger Ausstellung von Gegenständen der Kunst-Industrie. Die Theilnahme des Publi-
cums wuchs, je mehr die Zwecke der Gesellschaft gewürdigt wurden, so dass dieselbe bald
über beträchtliche Geldmittel verfügen konnte.
Das Museum fiir Kunst und Industrie zu Lyon wurde am 6. März 1864 auf An-
regung der dortigen Handelskammer eröffnet. I.m Anfange hatte man nur daran gedacht,
alle auf Seidenweberei bezüglichen Muster zusammenzustellen. Später ging man weiter,
so dass das Museum jetzt alle Zweige der Kunst-Industrie umfasst.
In Deutschland war das von England gegebene Beispiel nicht ohne Nachahmung
geblieben. In Stuttgart und Nürnberg wurden Schulen oder Sammlungen für Kunst-
Industrie angelegt. Der „Handels- und Gewerbeverein fir Rheinland und Westfalen"
veröffentlichte 1860 eine kleine Schriü unter dem Titel: „Die Industrie und die Kunst in
den Rheinlanden", in welcher Seite 14 gesagt wurde: „Sobald unsere Fabrikanten einmal
einsehen würden, dass künstlerische Kräfte zu ihrem Dienste vorhanden sind oder leicht
herbeigezogen werden können, sobald sie Zutrauen fassen wollten zu diesen Kräften und
sie in Anspruch nehmen und in's Werk setzen, sobald würde auch unzweifelhaft unsere
Industrie zu ihrem materiellen Aufschwung einen geistigen Aufschwung gewinnen und
neben der anerkannten deutschen Arbeitsfähigkeit und technischen Befähigung deutsche
geistige und künstlerische Befähigung sich wieder zeigen und glänzen wie sie einst
länzte."
g In Wien wurde am 7. März 1863 unter dem Protectorate des Herrn Erzh. Rainer
das „Oesterreichische Museum für Kunst und Industrie" gegründet.
In Berlin hat sich im J. 1866 unter dem Protectorate der Frau Kronprinzessin ein
„Deutsches Gewerbe-Museum" gebildet, das dieselben Zwecke verfolgt, wie das Wiener.
In neuster Zeit hat sich nun auch in Cöln unter der Leitung des österr. General-
Consuls Ed. Oppenheim ein Comite gebildet. welches die Errichtung eines solchen Mu-
seums unter dem Titel "Rheinisch-Westfalisches Museum für Kunst-Industrie", verbunden
mit einer Kunst-Gewerbeschnle, anstrebt. Wir entnehmen die nachfolgenden Stellen dem
Programme dieses Unternehmens:
"Die beiden Provinzen Rheinland und Westfalen besitzen eine viele Jahrhunderte
alte Industrie, die von Jahr zu Jahr grössere Dimensionen annimmt, deren Producte auf
allen Ausstellungen Bewunderung und Anerkennung finden, die also, um hinter jenen der
englischen, französischen und österreichischen nicht zurückzubleiben, ebenfalls eines Mu-
seums für Kunst-Industrie nebst Schule bedürfen, da dieser Industrie nicht schaden wird,
was der anderer Länder schon wesentlich genutzt hat. Der schon bestehende Verein für
christliche Kunst hat eine permanente Ausstellung von Paramenten, Reliquiarien, Kreuzen,
Kelchen, Monstranzen, Stickereien u, s. w. ins Leben gerufen, die für den Eifer zeugt,
der an verschiedenen Orten in Nachahmung dieser Gegenstände zu kirchlichem Gebrauche
erwacht ist. Derselbe Eifer und dieselbe Verbesserung des Geschmackes würde sich
zeigen, wenn für die Industrie im Allgemeinen ein Museum nebst Schule gegründet würde,
zumal wenn dasselbe auf die Bedürfnisse unserer Gewerblhlitigkeit, insbesondere unserer
Handwerker, Rücksicht nimmt und der Schwerpunkt bei Anschaffung der Muster in die
wirklich vorhandenen Industriezweige gelegt wird.
„Die beiden Provinzen Rheinland und Westfalen besitzen namentlich eine gross-
artige Metall-, Glas- und Steiugutwaaren-Fabrication, eine blühende Fabrlcation von lei-
nenen, seidenen, baumwollenen und wollenen Geweben, Möbeln Tapetenn Teppich- und
Uhren-Fabriken, überhaupt sind fast alle Industriezweige vertreten, und zwar datirt die
rheinische Gewerbthätigkeit schon seit römischer Zeit. Karls des Grossen Sorgfalt für He-
bung des materiellen Wohlstandes dieses Volkes, die aus seinen Capitularen so deutlich
zu Tage tritt, ferner die Einwirkung des Christenthums, und vor Allem die Bischofssitzo
und Klöster, trugen wesentlich zur Entwicklung der Industrie bei. Die Höfe der Fürsten,
die Burgen des Adels, endlich die reichen Handelsstädle gewährten der Kunst-Industrie