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Grödner'schen Schnitzlerseele vorhanden, so bezieht sich dieser nur darauf,
ob der betreffende Heilige ein Abt oder ein Bischof war, ob ihm ein
Fisch, ein Buch oder snnst ein Attribut gebührt, welches ihn kenntlich
macht. Da geht der Arbeiter zum hochwürdigen Herrn Curaten, und
dieser löst den letzten künstlerischen Zweifel aus dem Brevier.
Aber die Bestellung von Heiligeniiguren kommt relativ nur selten
vor; die eigentliche Grödnefsche Handelswaare ist ordinäres Spielzeug,
wie man es in den Auslagen in allen grösseren Städten findet. Die ele-
gantere Hnlzwaare wird in Berchtesgaden gearbeitet, wo eine treffliche
Schule für die Holzschnitztechnik existirt, und die Fabrication von Hei-
ligen-Figuren in grossem Style hat München, speciell die Mayer'sche
Kunstanstalt, an sich gezogen. Dort arbeiten sehr viele Tiroler; der
Bildhauer Prof. Kuabl, bekanntermassen ein hervorragendes Talent auf
dem Felde der kirchlichen Plastik, ein Tiroler von Geburt, ist mit dem
Mayefschen Institute associirt.
Mit der ganz ordinären Holzarbeit verdienen aber die Schnitzler
sehr wenig, am meisten die Exporteure. Diese haben ein geringeres In-
teresse, dass die Waare besser, wohl aber, dass sie wohlfeiler wird. Dass
unter diesen Umständen aber auch die ordinäre Waare nicht besser wird,
liegt auf der Hand und wird im Thale selbst bemerkt. Es sind mehrere
Versuche gemacht worden, die Lage der Schnitzler zu verbessern; bisher
aber waren diese Anstrengungen ohne erheblichen Erfolg, aber auch an
und Pur sich von keiner grösseren Bedeutung. Im Ganzen haben nur
Wenige Einsicht von der Bedeutung, welche eine Hausindustrie für die
volkswirthschaltlichen Interessen eines Landes hat. Die Meisten sehen
auf diese Bauernindustrie mit veraehtlichem Blicke herab und sind nicht
geneigt, etwas zu ihrer Hebung und Consolidirung zu thun. Die Grödncr
haben das bis in die jüngste Zeit an sich erfahren müssen. Bis zum
J ehre 1856 haben sie keine Fahrstrasse gehabt und mussten ihre Waaren
mühsam über das Gebirge schleppen, und wer weiss, ob ihnen diese
Strasse zu Theil geworden, wenn zu damaliger Zeit nicht der Bruder
des Kaisers Statthalter von Tirol gewesen wäre.
Wie es mit den zwei Lebensbedingungen der Industrie des Grödner
Thales steht, nämlich mit dem Bezuge des Zirbelholzes aus den ärarischen
Waldungen und mit der Schule in St. Ulrich, werden wir sogleich sehen.
Ein Zweig der Industrie, der auch ehemals im Thale war, die Spitzen-
klöppelei, ist bereits ausgestorben, wie manche Hausindustrie im Lande
Tirol im Laufe des letzten Jahrhunderts verschwunden ist. Dass die
Holzindustrie im Grödner Tbale sich erhalten und gehoben hat. verdanken
die Grüdner einzig und allein ihrer eigenen Arbeitsthätigkeit und Be-
triebsamkeit. Den Landesvertretungen in Innsbruck haben die Grödner
bisher noch sehr wenig zu danken, aber es dünkt uns, als wenn es hohe
Zeit wäre, dass dieselben sich mit industriellen Zuständen Tirols mehr
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