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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IV (1868 / 39)

des heurigcn Jahres bei wiederholten Besuchen im Erzgebirge gemachte Wahrnehmung, 
dass sowohl über die Wechsok manrfschen Musterwerkstätten, als über das in Prag be- 
stehende „Centralcomitä zur Beförderung der Erwerbsthätigkeit der böhmischen Erz- und 
Riesengebirgsbewohner" vielfach irrige Ansichten bestünden. 
Das Centralcomite war nur zu lange in der ganz und gar irrigen Meinung befangen 
gewesen, dem Nothstands im Erzgebirge durch blosse Unterstützungen helfen zu können, 
welche doch wie ein Tropfen im Meer verschwanden. Allmiilig kam man zur Erkenntniss, 
dass nur dann für die Dauer abgeholfen werden könne, wenn die alten Erwerhszweige in 
der Art verbessert würden, dass ihre Erzeugnisse neben denen fortgeschrittener Länder 
und Völker ebenbürtig auf dem Weltmarkte auftreten könnten; anderseits müssen auch 
neue Erwerbszweige geschaffen werden, deren Producte einem andauernden Begebr begegnen. 
Insbesondere sind es nun zwei Erwerbszweige, der Bergbau und die Spitzen-Indu- 
strie, gewesen, welche zahlreichen Bewohnern eines sehr grossan Theiles des Erzgebirges 
durch Jahrhunderte lohnende Beschäftigung gewährten. 
„Zur Wiederbelebung des Bergbaues fehlt es dem Centralcomite an den erforderlichen 
grosscn Capitalien. Leichter scheint es, der Spitzenfabrication wieder aufzuhelfen. 
Die Erörterung dieser Frage setzte die Erforschung der Ursachen des Verfalles voraus. 
In der Arbeit der Maschine liegen dieselben nicht, weil die feine Handspitze nach wie vor 
ihren WVerth behielt; eben so wenig im Mangel an Absatz, denn die in steter Ausdehnung 
begridene Fnbrication in Belgien und Frankreich vermochte kaum mehr mit der steigenden 
Nachfrage Schritt zu halten, ein Beweis, dass der Artikel begehrt wird. Nein, die eigent- 
liche Ursache ist darin zu suchen, dass man in der Erzeugung hinter den Anforderungen 
der Zeit zurückgeblieben ist, Während die belgischen und französischen Fabrikanten 
durch Ausbildung der Handfertigkeit, sowie durch fortwährende Beschaffung 
neuer geschmackvoller Muster, durch die Anwendung der zweckmässigsten Werk- 
zeuge und Vorrichtungen und des besten Materials den Erwerbszweig auf den höchstmög- 
lichen Grad der Vollkommenheit brachten, blieben wir im böhmischen Erzgebirge mit wenig 
Ausnahmen hci unserer alten angelernten Art der Erzeugung und den von unseren 
Grosseltcrn ercrhten Mustern. Für solche veraltete ordinäre Spitzen besteht be- 
greidicherweise blos ein beschränkter, zum Theil durch Hausirer vermittelter Verkehr, 
welcher überdies nur durch änsserste Wohlfeilheit der Erzeugnisse sich aufrecht erhalten 
liess. Dass bei einem derartigen Geschäftsbetricbs der Arbeitslohn immer tiefer sinken 
musste, ist ebenso begreißich, als dass sich die Spitzenkliipplerin bei dem geringen Lohne 
nichts weniger als bedeissigte, eine sorgfältige Arbeit zu liefern. So wurde nicht nur der 
Verfall der Spitzen-Industrie beschleunigt, sondern auch der Lohn so herabgedriickt, dass 
die Arbeiterin trotz Mühe und Fleiss nicht mehr im Stande war, in gewöhnlichen Zeiten, 
geschweige denn bei durch Stuckungen des Absatzes oder durch Missernten veranlassten 
Nothständsn die unentbehrlichsten Lebensmittel zu verdienen. 
Das Centralcomite glaubte diesem Uebelstands sowie den damit verbundenen Noth- 
rufcn eine Schranke setzen zu können, wenn es sich die Hebung der Spitzenfabricatiou 
im Erzgebirge zur Aufgabe machte. Allein auch hiezu war Capital erforderlich. 
Um dies zu verschafft-n, wendete sich das Centralcomite an das hohe Ministerium 
und an Seine Majestät den Kaiser, der in gewohnter Hochherzigkeit und väterlichen Für- 
sorge die halben Erträg-nisse von zwei Wohlthätigkeits-Staatslotterien diesem Zwecke aller- 
gniidigst zusicherte und die Geldvorsvhüsse flüssig zu machen befahl. 
Die vom Kaiser bewilligte Geldsumme reicht eben hin, zwölf Musterwerkstiitten 
durch drei Jahre zu unterhalten; in den anderen nachfolgenden zwei Jahren muss Herr 
Wechsclmann die Kosten aus Eigenem bestreiten. 
Als wir nun das Capital erwirkt hatten, trat die Aufgabe an uns heran, einen mit 
der nothwendigen Fachkenntniss ausgerüsteten thatkräiftigen Mann für unser Unternehmen 
zu gewinnen. Wenn wir mit Herrn Johann Jacob Wechselmann. Spitzenhändlcr in 
Berlin, in Verbindung getreten sind, so haben uns seine genauen Geschäftskenntnissc, 
seine ausgebreiteten geschäftlichen Verbindungen und auch der Umstand hiezn bewogen, 
dass er gerade mit der Spitzen-Industrie in Belgien und Frankreich in allen ihren Ver- 
hiiltnissen innigst vertraut ist, und sich daher stets in Kenntnis: des Neuesten in der 
Fabrication selbst, sowie in der Geschmacksrichtung befindet. Wir brauchten aber auch 
einen Mann für unser Unternehmen, der die neue Arbeit nicht nur im Inlande verkauft. 
sondern sie nach Auswärts in fremde Länder versendet, damit der Werth der Spitze im 
lnlande nicht gedrückt, somit auch der Arbeitslohn ein grösserer und regelmiissigerer 
werde, und so hat das Centralcomite gemeinschaftlich mit Herrn Wechselmnxin im 
vorigen Jahre zwölf Musterwerkstätten und zwar je einc in Biirringen. Bleistadt, Fribns, 
Gossengriin, zwei in Gmslitz und je eine in Gcttesgab, Heinrichsg-riin, Nendelr, Schlin- 
lind, Seifen und Trinlrseifen eröffnet. Die Mnsterwerkstätte in Bän-ingen wurde vor Kur- 
zem wvgcrx geringer Theilnahme nach Ncuhaus bei l-"ribus verlegt.
	        
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