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dass zur Ausführung desselben nicht nur die kolossalsten Mittel gehören, sondern auch
eine so lange Zeit und zur Aufnahme derselben so bedeutende Räumlichkeiten, dass an
eine irgendwie annähernde Vollständigkeit nie zu denken ist. Eine nach diesem Plan an-
gelegte Sammlung würde an Grossartigkeit und Umfang der Pariser Weltausstellung von
1:67 wenig nachstehen. Um sich eine Vorstellung von der Fülle des nach diesem Plan
zu besehstfenden Materials zu machen, vergegeuwlirtige man sich nur eine Ausstellung
von Maschinen und Geräthschaften für Landwirthschaft und Gartenbau, oder die Menge
des allein auf die Photographie bezüglichen Materials, welches auf der photographischen
Ausstellung zu Berlin im Juni 1865 vereinigt war. Und welcb' verschwindend kleinen
Theil nehmen Landwirthschaft und Photographie innerhalb der in dem „Plan der Samm-
lung" aufgeführten 16 Gruppen ein! Es dürfte demnach als praktisch sich empfehlen,
wenigstens für den Anfang, das Programm zu beschränken, die disponiblen Mittel und
Kräfte auf einige der wichtigsten Punkte zu concentriren, das Uebrige der allmiiligen
Entwickelung des Museums zu überlassen. Und man könnte, glaube ich, auch in dieser
Beschränkung den Zweck des Ganzen im Wesentlichen erreichen. Da das rein Technische
der Gewerbe in Baiern, so weit mir bekannt, hinter den andern Ländern im Allgemeinen
nicht zuriickstebt und die Technik von vielen Lehranstalten und tausend einzelnen Meistern
in genügender Weise gelehrt wird, die kiinslerische Seite der Gewerbe aber mit wenigen
rühmlichen Ausnahmen nicht nur in Baiern, sondern bis vor Kurzem noch in ganz Europa,
gegenüber der technischen, unendlich weit zuriickstand, so sollte gerade auf diese künst-
lerische Seite der Gewerbe besonderer Nachdruck gelegt werden, um den auf wissen-
schaftlicher Kritik beruhenden Geschmack unserer Tage durch das zu gründende Museum
n weiteren Kreisen zu verbreiten.
Dieser specielle Gesichtspunkt gerade ist es, welcher die Gründung des South-
Kensington-Museums in London, des österreichischen Museums für Kunst und Industrie in
Wien und des Gewerbe-Museums in Berlin veranlasst haben, und auf diesem Gebiete der
fonnalen Ausbildung der gewerblichen Erzeugnisse haben die beiden erstgenannten An-
stalten, trotz der jungen Zeit ihres Bestehens, schon sehr erfolgreich gewirkt. In welcher
Weise Fabrikanten und Handwerker zu arbeiten haben, wissen sie in den meisten Fällen.
Aber sie wissen nicht, welche Form sie ihren Producten geben sollen, wissen nicht das
Schöne mit dem Guten d. h. Zweckentsprechenden, zu verbinden. So hat z. B. ein
Schreinermeister in Nürnberg eine grosse, vortrefdicb eingerichtete Werkstatt, mit einer
Anzahl höchst sinnvoll construirter Maschinen, welche mit uniibertrefllicher Genauigkeit
arbeiten. Aber der sonst so strebsame Fabrikant hat noch nicht eingesehen, dass die Form
seiner Erzeugnisse von wenigstens ebenso grosser Wichtigkeit ist, als die exacte Arbeit.
Er gibt sich nicht hinreichende Mühe, gute Muster dafür zu erhalten. In Folge dessen
stehen seine Arbeiten nicht auf der Höhe der Zeit. Als dagegen ein gewisser v. Schwarz
in Nürnberg erfunden hatte, das Specksteinpulver zu einer sehr vortrefflichen Masse von
schönem Farbenton und grosser Festigkeit zu verarbeiten, wandte er sich sogleich an dia
Nürnberger Kunstschule. um von derselben gute Modelle und einen jungen Künstler zur
Ausführung derselben zu erlangen. Uass aber die künstlerische Ausbildung der Erzeug-
nisse der Industrie auch wirthschaftlich von der allergrössten Bedeutung ist, haben die
Engländer nach den Rasrdtaten der ersten grosseu Industrie-Ausstellung zu London im
Jahre 1851 mit ihrem praktischen Blick sogleich erkannt. Gerade mit Rücksicht auf die
finanziellen Vortheile sahen sie sich veranlasst, mit den grossartigsten Mitteln ihr South-
Kensiugton-Museum zu gründen. Und durch die in diesem Museum aufgestellten Vor-
bilder haben sie ihre Industrie, welche damals in Betretf der formalen Ausbildung von der
französischen weit ühertrotfen wurde, so sehr gehoben, dass dieselbe in vielen Fächern
heute die erste Stelle einnimmt. Und dass dieser Standpunkt der richtige ist, beweisen
auch einzelne Fabriken, z. B. die Thonwaaren-Fabrik von E. March in Charlottenburg,
die Fabrik kirchlicher Seidenstoife von Casaretto in Crefeld, die Fabrik fir Teppiche und
Mübelstode von Ph. Haas in Wien, vor Allem aber die Goldarbeiten von Castellani in
Rom, welche den höchsten Grad künstlerischer Vollendung besitzen und jetzt die besten
der Welt sind. Alle diese Geschäüe haben aber binnen kurzer Zeit sehr viel Geld er-
worben. Es gibt heut zu Tage genug Menschen, die auch theure Sachen kaufen, wenn
sie wirklich gut sind. Nur bei dem Mittelmiissigen feilschl man. Ausserdem können auch
gute Sachen billig, oft billiger als schlechtere hergestellt werden.
Der grosse Architekt Semper in Zürich hat nach sorgfältigstem Studium der Monumente
aller vorhergegangener Jahrhunderte in seinem höchst ausgezeichneten, leider noch immer
unvollendeten Werke „der Stil in den technischen und tektonischen Künsten" die ewig
giltigen Regeln aufgestellt, nach welchen Werke des Kunsthandwerks und der Kunst-
industrie gestaltet werden müssen. Jacob Falke in Wien hat sodann, auf Semper fussend,
in seinem geistvollen Werke „Geschichte des modernen Geschmacks" mit unübertreffiicher
Klarheit eine kritische Geschichte der Kunst-Industrie vom 14. Jahrhundert bis auf unsere