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Dadurch, dass sich auf dem Schwarzenbergplatze die Bau-
herren der neuen Gebäude geeinigt haben, vornehmlich Formen des
Renaissance-Styles zu wählen, in welchem Architekt Ferstel das Palais
des Herrn Erzherzogs Ludwig Victor und das Zinshaus des Herrn v.
Wertheim durchgeführt hat, ist es im neuen Wien zum ersten Male
möglich geworden, dass eine Strassenanlage einen harmonisch künstle-
rischen Abschluss {inden dürfte. Der Schwarzenbergplatz wird künftighin
eine hervorragende Stelle unter den Plätzen Wiens einnehmen.
Von öffentlichen Bauten sind im verflossenen Jahre noch das
Künstlerhaus und die grosse Rossauer Kaserne vollendet worden.
Das Künstlerhaus wurde in einer würdigen Weise erüdhet, und
zwar durch die allgemeine deutsche Kunstausstellung, welche die deutsche
Künstlergenossenschaft in das Leben rief. Für Wien hatte diese Aus-
stellung in mehr als einer Beziehung eine grosse Bedeutlmg. Es wurde
dem Publieum eine Reihe von hervorragenden Werken vorgeführt und
eine erhöhte Einsicht in die moderne deutsche Kunstbewegung verschafft.
Was wir aber für noch wichtiger halten als die Belebung des Kunst-
sinnes, ist die Aufrechthaltung der Verbindung zwischen der österreichi-
schen Künstlerwelt und der deutschen. Auch auf dem Gebiete der Kunst
hat man die Ueberzeugung gewonnen, dass, wenn auch Oesterreich in
Folge des Prager Friedens aus dem deutschen Verbande ausgeschieden
wurde, das Culturleben Oesterreichs einen integrirenden Theil der gei-
stigen Arbeit der gesammten deutschen Nation bildet. Nichts wäre für
die Deutschen Oesterreichs gefährlicher als die Lockerung dieser Cultur-
bande, nichts würde den Fortschritt auf dem Gebiete der Kunst mehr
hemmen, als die Isolirung des geistigen Lebens in Oesterreich von dem
der gesammten Nation.
Das Künstlerhaus hat sich in der baulichen Anlage seinem Zweck
entsprechend vollständig bewährt. Die Raume sind schön decorirt und
gut beleuchtet; die Anwendung des Oben-lichtes hat sich in der Art, wie
sie dort durchgeführt wurde, als ganz praktisch erwiesen. Auch kleinere
Gemälde, wie Genrebilder und Landschaften, haben durch das Oberlicht
nicht gelitten. Das Künstlerhaus ist eine Institution, die durch die
Thittigkeit einiger hervorragender Männer, insbesondere des Architekten
v. Stache, zu Stande gekommen ist; wenn das Institut mit Umsicht
geleitet wird, so ist nicht zu zweifeln, dass durch dasselbe ein Mittel-
punct für die verschiedenartigen Interessen der Künstlerwelt Wiens ge-
bildet wird, die sich in sehr günstiger Weise von den Banden der Kunst-
vereine emaneipirte.
Weniger Befriedigendes kann man von der grossen R o s s a u e r
Kaserne sagen. Für den Zweck einer Kaserne ist dieselbe viel zu
decorativ behandelt, die Masse von Thürmchen passt für eine romantische