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Volltext: Alte und Moderne Kunst VII (1962 / Heft 64 und 65)

tragen wird. Eben dise ist mit 
noch anderen Genijs untenher 
bewahret, so mit denen alten 
Steinernen Gesätz-Tafeln, Kelch 
und anderen oiTenen Büchern das 
Glaubens XVeesen vorstellen, und 
der zu Beschirmung in Helm und 
Harnisch sitzenden, auch in der 
Hand ein aus dem l-lertzen ent- 
sprossene beleuchte Kertzen hal- 
tenden Gelehrten-Bemühung an 
die Hande gehen. Ansonsten er- 
scheinet einer seits ein Gruppo 
deren mit-einander vereinigten- 
und zu Begrei-Iiung dere Himli- 
schen Gestirn taugenden Astro- 
nomia, und Orographia mit ihren 
gewöhnlichen Aufputz, und Ar- 
beits-lnstrumenten; wie dannlinck- 
ker Hand sich die Astrologia auf 
einer großen Himmels-Kugel mit 
Ausmässung unterhrlltet, an des- 
sen Seiten allerhand Kindeln mit 
Perspectiv und dergleichen Werck- 
Zeug den in Himmel durchlauffen- 
den Zodiacum zu betrachten be- 
schätftiget seynd. Abwärts fliehet 
die umb das ober-irrdische Wee- 
scn sorgfältig sich bekümerende 
gelehrte Vorwizigkeit, welcher 
von der Erkantnuss der himli- 
scherl Beschalfenheit die Augen 
aufgebunden werden 6)." Gran hat 
„wörtlich übersetzt". Lediglich 
auf die schwer zu verdeutlichende 
Darstellung der gelehrten Vor- 
witzigkeit, der eine Binde von 
den Augen zu lösen sei, verzichtet 
Gran zugunsten einer großzügig 
klaren von ausladenden Schwin- 
gen aufwärtsgetragenen Figur. 
Gran fühlte sich jedoch nicht so 
sklavisch an das Programm ge- 
bunden, daß er sich nicht ge- 
traut hiitte, eine Figur, die in die 
gesamte Allegorie hineinpaßt, hin- 
zuzufügen, wenn er sie für seine 
Komposition braucht. Die helle 
nackte Weibliche Figur zur 
Linken der Sapientia Divina 7 
oder „Untersuchung der Himm- 
lischen Dinge" wie Albrecht sagt 
7 verkörpert nach Mrazek 7) die 
Theoria. Ihre nachdenkliche Hal- 
tung, das Buch und die Flügel an 
ihrem Haupte kennzeichnen ihren 
allegorischen Sinn. 
ANMERKUNGEN: 
i) Daniel Gran. 1694-1151, Gedächmisausslel- 
lnng Sommer 1031. Nr. 11. Dort auch ab- 
gebildet. crnppb dCr Verteidigung aus dem 
Seitenfresko „Allegorie aufdas snidinni der 
irdischen Dinge". 7 Knnb erwähnt dieses 
und in Scintfll großen Aufsatz nOCh nicht; 
„Daniel Grau als Zeichner". in Wiener jäh!- 
buch riir Kunstgeschichte ls. 19515. 145 - 
172, zur Hofbibliolhek: S. 1467148. 
-) ein 1221. Merkwurdigerweise im "Katalog 
der (iclufllde des I7. und lß. jzllrhuuderls 
im Germanischer! National-Muschi!!!" von 
1934 nicht aufgeführt. 
i) Walther unblinw ki. Der Barockbau der 
ehemaligen Hofhibliclrhek in Wien. ein 
Werk l. u. Fischers von landen. Wien 1951 
l: MuSt-inn, Veröfenrlichungen d. Österr. 
38 
Im. Nürnberger Entwurf grup- 
pieren sich die Figuren annähernd 
zu einem Parallelogramm. Dieses 
Kompositionsschema ist in der 
endgültigen Ausführung zu einem 
Rhombus zusammengeschlossen 
worden (die Astronomia thront 
außerhalb). Daher erklärt sich die 
Hinzufügung des kleinen Engels 
unten in der Rosettenzone, der 
die aufwärtsstrebende „gelehrte 
Vorwitzigkeit" im Fluge unter- 
stützt. Das rechte Bein dieses 
Engels bildet dic untere, das Drei- 
eck der göttlichen Weisheit die 
obere Spitze des Rhombus. Die 
verbindende Achse zwischen die- 
sen beiden Winkeln ist identisch 
mit dem Scheitel der Längstonne 
des Raumes. Die anscheinend nur 
geringe Änderung gegenüber dem 
Entwurf auf der planen Fläche 
bringt eine Wesentliche Straffung 
7 auch im Literarischen des 
Themas 7 der Komposition 
mit sich, die der sich gegen- 
seitig steigernden Wirkung von 
Malerei und Architektur zugute 
kommt. 
Die zweite Veränderung ergibt 
sich von selbst aus diesem neuen 
Kompositionsschema. Die aufdem 
Nürnberger Bilde in der linken 
oberen Ecke sich in den Wolken 
tummelnden Engel werden von 
Gran gestrichen (dgl. das Fisch- 
zeichen des hinter den Engeln 
niedergehenden Zodiakus). Statt 
dessen gibt er einen außerhalb des 
Figuren-Rhombus über den Rah- 
men fliegenden Engel, über dem 
sich ein Tuch wie ein Segel auf- 
blaht, das ihn in die Lüfte zu ent- 
führen scheint. Kompositorisch 
gibt dieser kleine Engel das Ge- 
gengewicht zu der schweren, über 
den unteren Bildrahmen hinaus- 
greifenden Gruppe. 
Auch farblich ist die Ausführung 
klarer 7 fast klassizistischer 7 
geworden, denn das im Nürn- 
berger Bild eine hell-leuchtende 
Aura um sich ausstrahlende Drei- 
eck der göttlichen Weisheit steht 
im Fresko scharf konturiert vor 
dunklen Wolken. Der kleine, un- 
ten hinzugefügte Engel mit seinem 
Nationalbibliothek in Wien. NF., 2. Reihe. 
Bd. 1), s. 142. 
s) Aufbewalm in der Wiener Nationalbiblio- 
lhCk: cbd. Vindoll. Nr. vlis ungekürzt 
vrraslrenilirlir bei Bucliowicc s. 90-112. 
s) Das Programm Albrechts spricht von der 
"Seite des Friedens" und der „Seite des 
Krieges", WOlIll! die beiden Seitlich des 
Kllppelraunles sich anschließenden nnnn- 
icili: gemeint sind. 
ß) rdl. 41r fol. 4iv, bei Buchowiecki s. 109 
bis H0. 
7) Wilhelm Mrazek. Die barocke Decken- 
n-lzlerei in der l. Hälfte des I8. Jahrhunderts 
in Wien und in den beiden Erzhcrmgrulnern 
Ober und Unter der Enns. Ein Beitrag zur 
lkonologic der barocken Deckenrnalerei. 
154.2: Versuche und Ergebnisse. Diss. Wien 
 
 
dunkel heschattcten Körper und 
den strahlend hellen Flügeln da- 
hinter ist die reziproke Entspre- 
chung in der Farbe zu den Gegen- 
pnlen der linearen Komposition. 
Auf die von Albrecht geforderte 
brennende Kerze auf einem Her- 
zen, als Beigabe der gelehrten Be- 
mühung, verzichtet Gran im 
Fresko, da dieses sehr kleine De- 
tail bei der Höhe des Raumes 
ohnehin nicht mehr sichtbar wäre. 
Die Nürnberger Ölskizze lehnt 
sich engstens an dic mehr hand- 
werkliche als künstlerische Feder- 
zeichnung im Codex Albrecht 
an 3). Die lavierte Federzeichnung 
Grans9), die bereits alle diese Ver- 
änderungen des Freskos aufweist, 
dürfte nach dem Nürnberger Bild 
und unmittelbar vor der end- 
gültigen Ausführung entstanden 
sein. Die Ölskizze steht also an 
zweiter Stelle innerhalb der Ent- 
wicklung der Vorarbeiten. 
Buchowiecki veröffentlichte zwei 
Ölbilder Stift Wiltcn bei 
lnnsbrucklo), die Entwürfe für 
die beiden Lünettenbilder über 
den Säulen des Kriegstraktes der 
Hofbibliothek sind. Auffallend 
ist, daß ihre Maße (45 cm X 
89 cm) in etwa die gleichen sind 
wie bei dem Nürnberger Bild 
(Berücksichtigung des etwas an- 
deren Formates der Fresken!) 
und daß sie ebenfalls im Vergleich 
mit den ausgeführten Fresken 
kleine Veränderungen aufwei- 
senll). Buchowiecki bezeichnet 
die Wiltener Stücke als typische 
Kontraktmalereienlz), die der 
Künstler seinem Auftraggeber 
vorzulegen hatte. Diesen beiden 
Werken Grans läßt sich das Nürn- 
berger Bild des Meisters als 
drittes innerhalb dieser Bildgat- 
tung für die Wiener Hofbiblio- 
thek zuordnen. Seine Entstehung 
dürfte unmittelbar vor dem Ar- 
beitsbeginn von 1726 oder noch 
während dieses Jahres anzusetzen 
sein; denn die bei der Restau- 
rierung 1955 freigelegte Datierung 
„l726" befindet sich auf der dem 
Göttlichen-Weisheits-Fresko zuge- 
kehrten Lünetteß). 
aus 
1947. Maschinensrhriftl, Exemplar des Zell- 
lraümriluzcs für Kunsigcsdlichlc iii Mun- 
chen. S. 214. 
K) Hinweis u. Abbildung verdanke ich Dr. W. 
Mrazek, Wien, Österr. Mnrbnni rnr ange- 
wandte Kunst. Autorschaft d. Zeichnung 
unbekannt. Buchowiecki nimmt hierzu nirllr 
Stellung Für Gran ist sie zu pedantisch. 
9) Buchowlecki, Abb. Nr. 54. Zllr Tra- 
dierung und Bestimmung, derselbe. 5.144. 
w) s. 145,146, Ahh. Nr. 45. 4a. 
H) Andere Knprlinllnng des klticenclcn Mannes 
im Miitelgrunil (lluchnwiecki, Ami. Nr. 45 
und 35); fehlendes Stillehcll von Lanze und 
Heimen in der Mitrc LlUS Vordcrgrundts 
(Bucllowiccki, Abb. Nr. 4a nnd a7). 
w) 5.145. 
U) Buchnwiecki. S. 142.
	            		
1 Landschnll bei Caux lnil auf- steigenden Wolken. m1. Kumx- haus 21mm 2 Der Student(Selbstbildnis),1874. Kunsthaus Zürich HANS BISANZ Ferdinand Hvdler" 7853-7978 Der Schweizer Maler Ferdinand Hodler wurde im gleichen ]ahr und Monat wie Van Gogh, am 14. März 1853, in einem Elends- viertel Berns als Sohn eines Tischlermeisters geboren. Er wuchs in trostlosen materiellen Verhältnissen auf und verlor seinen Vater bereits mit 5 Jahren, seine Mutter, die inzwischen zum zweitenmal heiratete und nach Thun übersiedelte, mit 14 Jahren. Viele seiner Geschwister und llalbgeschwister starben bereits im Kindesalter. Nach dem Tode des Stiefvarers nahm ein Bruder der Mutter die Kinder bei sich aufl). Im Alter von 14 Jahren wurde l-lodler zu dem Maler Ferdinand Sommer in die Lehre gegeben, bei dem er auf schnellstem Wege die Anfertigung von Veduten erlernen mußte, die von Touristen in großen Mengen gekauft wurden. Dieser Hiichtige Unterricht machte es Hodler möglich, auch nach dem Verlassen dieser Werkstatt und nach seiner Übersiedlung nach Genf im ]ahre 1871 seinen Lebens- unterhalt in bescheidenen Ausmaßen selbst zu verdienen. [n Genf machte er die Bekanntschaft des lngresxSchülers Barthelemy Menn. Dieser leitete hier eine Zeichenschule und forderte von seinen Schülern, seiner eigenen Ausbildung entsprechend, größte Sorgfalt im Aufbau der Komposition, der Entwicklung der Umrißzeichnung und der Wiedergabe plastischer XVerte. Diese Aufgaben, um Weitere vermehrt, stellte Hodler im ganzen Verlauf seines späteren Schaffens auch sich selbst, so daß dem Unterricht bei Menn bezüglich der Wahl der Gestaltungsmittel große Bedeutung zukommt. Die ersten selbständigen Arbeiten, mit denen Hodler hervortritt (Abb. 2), zeichnen sich zumeist durch dunkle Farbtöne aus und erinnern dadurch an die Frühwerke von Cezanne und Van (jogh. Eine Spanienreise im Jahre 1878, über deren nähere Umstände wenig bekannt ist, führt zu einer relativen Aufhellung dieser vorwiegend aus Erdtönen zusammengesetzten Palette. Hodlers Werken aus der Zeit von 1872 bis 1890 ist, von Ausnahmen abgesehen, ein objektiver Naturalismus gemeinsam. Darüber hinaus lassen manche dieser Arbeiten, wie etwa das Selbstbildnis „Der Student" (1874, Abb. 2), auch Versuche sichtbar werden, durch Anwendung einer strengen Axialität und Betonung vertikaler und horizontaler Parallelen ordnend im Bildaufbau einzugreifen, worin man die Früchte der Ausbildung bei Menn und, zurückblickend von den Spätwerkcn Hodlers, Vorstufen für seine weitere Entwicklung erkennen kann. Zu dem Titel dieses Selbstbildnisses sei am Rande vermerkt, daß Hodler zeitlebens unter dem Mangel einer durchschnittlichen Schulbildung litt und als Autodidakt die Versäumnisse seiner traurigen Kindheit nachzuholen versuchte. Eine Zcitlang trug er sich mit dem Gedanken, Geist- licher zu werden, ein anderes Mal schwebte ihm der Beruf eines Privatgelehrten als ldeal vor. 39
Waiting...

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