aber alle diese Arten, welche die Venetianer im 16. Jahrhundert wieder
ins Leben gerufen haben und sodann aufs Neue vergessen wurden, stehen
allem Anscheine nach im Begriff, durch die gegenwärtigen Fabrikanten
von Murano eine dritte Epoche zu erleben.
Diese neuesten Bestrebungen der venetianischen Glasfabrikanten
haben den Glasarbeiten ihrer berühmten Vaterstadt aus dem 16. und 17.
Jahrhundert auf einmal ein erhöhtes Interesse gegeben; bisher nur die
schwerbezahlte Liebhaberei der Kunstsammler, werden sie auf einmal
imitirt und nicht vereinzelt als Kunstgegenstand, sondern als Industrie-
erzeugniss auf den Markt gebracht und finden bereits einen Absatz, den
die Fabrikanten nur mit den äussersten Anstrengungen befriedigen können.
Aller Voraussicht nach werden sich Nachfrage und Liebhaberei steigern,
wenigstens haben sie bereits den Grad erreicht, dass die Glasindustrie
keines Landes dieses Ereigniss übersehen darf.
Zweierlei ist es, was die venetianischen Gläser vorzugsweise vom
Standpunkt der heutigen Industrie auszeichnet. Einmal liefern sie uns
die edelsten Formen fir Trinkgetasse und verschiedenes andere Geräthe,
und da gerade gegenwärtig bei dem vorhandenen Umschwung im Ge-
schmack auf die Reinheit und Schönheit der Form grosser Werth gelegt
wird, so werden sie in dieser Beziehung gradezu die Fundgrube für un-
sere heutigen Glasfabrikanten. Der andere Umstand ist der, dass die
Fabrication und Beschadenheit des venetianischen Glases die elegante
und zierliche Form auch um billigen Preis ermöglicht. Die charakteristi-
schen Eigenschaften dieses Glases sind seine Ziehbarkeit und Leichtigkeit,
indem die Fabrication aber in der Hauptsache sich auf das Geblasen-
werden beschränkt, wird die theuere Procedur des Schleifens, die uns
ohnehin nach und nach die plumpsten Formen angewöhnt hat, erspart.
Dadurch kann das einfache venetianische Glas ein gefährlicher Concurrent
des jetzt allbeliebten Krystallglases werden, nur muss seine Fabrication
von "ausserst geschickten Arbeitern mit künstlerischem Gefühl geübt
werden. Endlich kommt noch hinzu, worauf wir allerdings vom rein in-
dustriellen Standpunkt aus weniger Gewicht legen, dass die venetianische
Technik durch allerlei farbige musivische Zusammendüsse das Glas ge-
wissermassen malerigch zu behandeln weiss und durch künstliche, über-
aus geschickte Benützung der ausserordentlichen Ductilität die merkwür-
digsten Schöpfungen hervorbringt, die allerdings kaum je einen bedeu-
tenden Factor in der Industrie bilden werden, immerhin aber für die
künstlerische Seite in mehrfacher Beziehung von hohem Interesse sind.
Gewiss Gründe genug für das Museum, um einer Sammlung vene-
tianischer Gläser des 16. und 17. Jahrhunderts einen grossen Werth bei-
zulegen und für ausgedehnte Erwerbungen zu sorgen. Die Sammlung
umfasst denn auch bereits mehrere hundert Stück, sämmtlich geblasenes
Glas und zum grössten Theil Trinkgefasse, daneben aber auch eine