derungeii ihrer Meisterschaft, ihrer Entwürfe und Farben rufen
uns die reichsten und edelsten Stoffe und Wirkereicn des Mittel-
alters in Erinnerung.
Bei Walther von Rheinau, Wernher dem Schweizer und Philip
dem Kartiiuser finden wir liebevolle und ausführliche Einzel-
heiten hierüber verzeichnet. Es wird da erzählt, daß Maria und
mit ihr die Tempeljungfraucn festliche Altardecken nähten, daß
sie Byssus und einen „phellcr" genannten Brokatstoff zu weben
verstanden. Wandbehänge für den Tempel wirkten und stickten,
edle Goldborten (Brettchenweberei) machten, Zindcl, Seiden-
stoff und Samt woben und manche prunkvolle Kasel, Stola und
verzierte Albe daraus nähtcn. „Marien der pfellor wart zchand"
heißt es da, d. h. Maria wirkte den Goldbrokatstoff.
Auf dem herrlichen Glasfenster aus Straßengel (Steiermark, um
1370) sehcn wir Maria im Tempel mit dreien der Jungfrauen bei
der Arbeit. Maria sitzt hoch über den anderen auf einem thron-
artigen Sessel. Als Ausdruck ihrer heiligen Erhabenheit überragt
sie die Jungfrauen weit an Größe. Auch trägt sie als Himmels-
und Erdcnkönigin die fürstliche Krone. Mit der linken Hand
zieht sie die Spindel aus dem Fach des Brokatbandes am Band-
webrahmen, mit der rechten schlägt sie mit breitem „Schwert"
die Goldfäden an. Das vorderste der drei Mädchen stickt (offen-
bar in der Art, wie es koptische Wirkereien zeigen) Konturfä-
den in ein fertig gewirktes Zierstück; das mittlere spinnt mit der
Handspindel, das hinten sitzende hält ein (jebetbuch und liest
daraus vor.
zahlreich sind die Darstellungen der Verkündigung, in welchen
der Engel sie bei Handwerk und Gebet antrifft. Einige apokryphc
Erzählungen bzw. ihre Nachdichtungcn stimmen in den Berich-
ten darin überein, daß Gabriel zur Verkündigung Maria auf-
suchte, als sie in der Nähe mehrerer Tempcljungfrauen außer-
halb ihres Elternhauses in Nazareth an einem Brunnen weilte.
„Sie war allein", „sie wirkte und betete dabei" - so heißt es
immer wieder. Nach ihrem Vcrlöbnis mit Joseph sandten nämlich
Verkündigung. Maria, ein Band wehend.
Aus dem British Museum, London.
die Priester Maria in Begleitung der Jungfrauen nach Nazareth
zurück, („in irs vaters hus" oder zu Joseph, der selbst am Scc
Gcnezitreth Schiffe baute und fern war), und es wurden weiter-
hin dcn Mädchen Flachs, Wolle und Stoffe zum Verarbeiten für
den Tempel gesandt. Auch jetzt ward Maria stets das „Königin-
ncnlos" zuteil.
Am Tage der Verkündigung nun ging sie „allein hinaus" zum
Brunnen, (bzw. in den Garten), wo ihr der Engel zum ersten Mal
begegnete und ihr die hohe Botschaft brachte '. Bewegt und cr-
schreckt, zog sie sich noch mehr zurück und erzählte den Jung-
frauen nichts von der Begegnung mit dem Engel. Drei Tage lang
sann sie über die Verheißung nach und blieb in Gebet und Arbeit
vertieft in ihrer Kemenatc.
Die traditionelle Schilderung ihrer streng gehüteten Häuslichkeit
in jener Zeit in Nazareth galt als einer der vielen Beweise von
Marias Unschuld, um die nicht nur zu allen Zeiten diskutiert wor-
den ist, sondern die auch von Joseph bei seiner Heimkehr ange-
zweifelt wurde, als er Maria schwanger fand. Bibel und
apokryphe Berichte stimmen in diesem Punkt überein.
Ein zweites Mal kam der Engel Gabriel zu Maria, diesmal fand
er sie in ihrer Kammer. Gleichsam in ihr stillstes Inneres tritt der
Engel ein, drei Tage nach seinem ersten Kommen; und erst bei
seinem zweiten Nahen empfing Maria die Kraft Gottes durch den
Heiligen Geist.
Das Wort „Ave" erlebten die mittelalterlichen Dichter, erlebte
vielleicht der mittelalterliche Mensch überhaupt, als 'l'r2'iger der
göttlichen Schöpferkraft, die, mit dem XVortklang durch das Ohr
in Maria eindringcnd, in ihr den Gottessohn erzeugte. Deshalb
findet man sehr häufig auf sogen. „Vcrkündigungsbildern" (die
aber Empfängnisdarstellungen sind) nicht nur den Engel in der
Gcbiirde der Nlitteilung, sondern gleichzeitig Gottvater in Wol-
ken im höchstcn Himmel und von ihm ausgehend einen Kräfte-
strom, in dem zuerst der Heilige Geist in Gestalt der Taube, und
unmittelbai hinter ihm das Jesuskind (oft mit dem Kreuz über
der Schulter) hcrniedcrfahren auf Marias, das „Ave" eben ver-
nehmendes Ohr zu. In der Auffassung des mittelalterlichen Men-
sehen wurde dem durch Gabriel überbrachten Goiteswort die
gleiche reale, zcugende Kraft zuerkannt, von der die Genesis
spricht, wenn sie von den Schöpfungsworten Gottes als schaffen-
den Taten berichtet.
Maria war auch als Mutter natürlich oft mit Handarbeit be-
schäftigt. Die Mariendichtung des Mittelalters stellt solche Sze-
nen hauptsächlich in Zusammenhang mit der Verfertigung des
ungcnähten Rockcs Christi. (Job. 19, 23). Das Johannisevangc-
lium erwähnt lediglich die Tatsache, daß der Rock ungenäht
gewesen sei. Schon eine so frühe deutsche Dichtung wie der
„Orcndcl" (um 1190) geht naher auf die noch immer offene
Frage ein. in welcher Technik Maria dieses Gewand verfertigt
habe. „Er wart gewürkei zwore 'von eines schonen lambes horcl
dar zu span jn die edel und die fryc ,' selber, die künigynne Sant
Marye . . . Sant Helene yn selber würken began. Er wart gewür-
ket, und nit genegt. . . da der grawe rock wart bereitf unser her
in selber an sinen lip leit".
Rein äußerlich technisch betrachtet, besteht die Möglichkeit, das
Jesus Christus eine Form der Toga vornehmcr Römer trug, die
auf doppelt breitem Webstuhl als ganzes Stück gewebt und ledig-
lich seitlich zusammengenestelt wurde. Eine solche Toga konnte
den Kriegsknechten wohl als zu wertvoll zum Zerschneiden er-
schienen sein.
Im Orendcl heißt es, der Rock sci „gewürkt" (ägewebt) worden.
Walther von Rheinau weiß mehr Einzelheiten darüber zu berich-
1 Konnul von Fussesbruttn (um 1210) yjnqvllllr näcb... bete sich aber dlu gnnw...
in ellteltt gltdellle tuspnn... und hite lr ein wen: gvnottlen von sitlen und von
golile... tlure ubc suz n ulule wurhte..." g Walther vull Rhelnau (linde
n. aal. 14. in.) „eines tagen. tlu Maria Witz... In einem gtletletlllltl allein, nnn
un lf heuile wni-ti- seheln, u Väürllte... untle lntt tlen salter Illssenkliclie..."
- Phlllp im Knrtiuser (u. 1h.) ,.nnr nach an tle trlttu tage... Marln.-..
alleine wnz In Iren: gelietle... in lrer krummen... Maria Zll den gezeltn nyn
wurthe gulil und sliln... du quuth 1.1! lr in a1. kauleln elu engel..."