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Kunstwerken Wiens ersichtlich sind, wurzelt in den Künstlerkreisen selhst:
es entspricht unserer modernen Renaissance auf dem Gebiete der Archi-
tektur und des mit derselben eng verbundenen Kunstgewerbes leider
keine Wiedergeburt in der Malerei, in der Sculptur. Was unsere Ge-
maldeausstellungen als Blüthe moderner Malerei aufiveisen, Werke des
Genrds und der Landschaft, kann sich, so trefflich es von anderen Ge-
sichtspunkten ist, mit dem Aufschwung unserer Baukunst nicht messen.
Uns fehlen Maler, welche die Menschengestalt so vollendet wie die Meister
des 16. Jahrhunderts in ihrer Gewalt haben, wir brauchen Maler, welche
den grossen historischen Styl, der nicht Costiimmulcrei ist, pilegen und
diese Maler können nur aus einer Schule hervorgehen. Noch schlimmer
steht es mit derascnlptur, in der Naturalisten und die romantische Rich-
tung durch ein arges Durcheinander der plastischen Kunst Schaden bringen,
von Seite des Publicums aber kein Herz, kein Verstündniss entgegen-
gebracht wird. Die jüngere Generation macht eine Ausnahme; sie strebt
das Bessere an. Die grossen ötfentlichen Bauten, welche in jüngster
Zeit schon in Wien in Angriff zu nehmen sind, werden hoffentlich Ma-
lerei und Sculptur aus der traurigen Rolle von hlossen Lückenhüssern
der Architektur auf die Stufe selbständiger, freier und ehenhürtiger
Schwestern derselben erheben. Auch in der Schule sind Reformen
nöthig; wir bedürfen eines systematischen Vorlagebuches, wir müssen
den Unterricht der Mädchen zu Verwerthung der Frauenarbeit regeln
und den kunsthistorischen Unterricht an den Schulen nicht in Verbindung
mit dem Zeichner, sondern mit dem Gcschichtsstudinm durchführen.
Jene Museen und Kunstschulen in den Provinzen, deren Wirkungskreis
ein kleinerer, deren Antheil an den allgemeinen Interessen daher ein
beschränkterer war, müssen herangezogen werden an das Ganze und
durch wissenschaftlichen sowie künstlerischen Verkehr mit Wien ver-
llunden werden.
Mit unseren Kräften allein aber wird solches nicht gelingen, wenn
die allgemeinen Verhältnisse und die von der Staatsgewalt ausgehenden
Massregeln nicht der Gedanke der Zusammengehörigkeit der Künstler und
Industriellen in allen Provinzen durchdringt und ein einheitliches Wirken
hiednrch geweckt wird. Wir dürfen die gegenwärtige politische Zerfahren-
heit nicht in die Weltausstellung liineintragen und müssten ferner auch
das schlimmste gewärtigen, wenn Qesterreich dem Auslands gegenüber
als ein in sich gebrochenes, selbst auf national-ökonomischem Gebiete
nicht mehr einiges Staatsgehäude "erscheinen würde, während Russland,
Italien, das deutsche Reich, England, Nordamerika in geschlossenen und
compacten Massen auftreten werden.
Um würdig auf der Ausstellung vertreten zu sein, muss dasjenige,
was wir wirklich zu leisten im Stande sind, vollständig und möglichst
gut erscheinen. Nur zwanzig Monate mehr sind zur Arbeit gegönnt, da