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Full text: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VI (1870 / 62)

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die ihnen durch die religiösen Wirren und die Entuationnlisirung ihrer Fürsten entris- 
sen wurde. 
Nur auf dem Gebiete der Kunst und Kunst-Industrie lastet der Bauzösiscbe Ge- 
schmack wie ein Alp auf der deutschen wie auf der österreichischen Kunst-Industrie; 
die ödentliche Meinung misstraut dem Genius des deutschen Arbeiters und erst durch 
erschütternde Ereignisse musste das deutsche Volk hier von dem romanischen Drucke 
befreit werden. _ 
Trotzdem dürfen wir uns auch hier keinen tr" erischen Illusionen hingeben. Aller- 
dings liegt die französische Industrie gegenwärtig sc wer darnieder; wichtige Industrie- 
Gebiete gehen ihr durch den Verlust von Elsass üud Lothringen verloren; kostbare 
Arbeitskräfte entgehen ihr durch die Ausweisung der fremden Arbeiter, aber trotndem 
wird sich Frankreichs Industrie in Bälde erholen. Denn Frankreich gebietet über eine 
nicht gewöhnliche Schem- tecbniseh und wissenschaftlich gebildeter Ca acitiiten; es ist 
ferner ein politisch geeinigtes, eentraiisirtes Land. Diese Vortheile bleiben Frankreich 
auch nach diesem unheilvollen Kriege. 
Einen schweren Schlag hat die französische Industrie durch die Austreibung der 
deutschen Arbeiter erlitten. Es war nicht das erste Mal, dass Frankreich Industrielle und 
Arbeiter gewaltsam austrieby schon einmal war dies zur Zeit des Edicts von Nantes der 
Fall. Wären die Franzosen gewöhnt, die Geschicbtscbreiber des Auslandes zu lesen, so 
würden sie sich gehütet haben, diese Austreibung zu wiederholerP denn wie zur Zeit der 
Hugenotten-Vertreibung werden auch diesmal die vertriebenen deutschen Arbeiter nur 
spärlich suriickkshren. Die deutschen Handelskammern und das Berliner Gewerbemuseum 
hatten daher vollkommen Recht. die zersprengte Arbeiterarmee zu sammeln und jenen 
Etablissements zuzuführen, wo tüchtige, geschulte Arbeiter nothwendig sind; und da eine 
Menge deußcher Arbeiter in der deutschen Armee stehen, so haben Ollivier und Pslikao 
durch die Austreibung der deutschen Arbeiter aus Franks-eich sich um die deutsche 
Industrie sehr verdient gemacht. ' 
Allerdings sind die Verhältnisse und Bedingungen der deutschen Kunst-Industrie 
andere als die der französischen. Die Kunst-Industrie Frankreichs ist die eines ceutnili- 
sirten Staates, der Gewicht darauf legt, iiusseren Prunk, Grazie und Esprit zu entwickeln; 
nach Gewohnheiten und Traditionen ist die vornehme Gesellschaft Frankreichs an einen 
gewissen Luxus und Frivolitlit gewöhnt. Frankreich hat selten jene Vertiefung geistigen 
Lebens gehabt, aus der das Kunst-Ideal emporgewachsen ist, es hat aber immer die Ver- 
feinerung der Genussmittel und der Lebensbediirfnisse befördert. 
Ganz anders steht es mit der deutschen Kunst-Industrie. Deutschland wird nie so 
centralisirt sein wie Frankreich; Berlin wird nie fiir Deutschland das werden, was Paris 
fiir Frankreich ist. Die Kiinstlerwelt Sehwabens wird immer ihre künstlerische Selbstän- 
digkeit wahren, ohne die nationale und politische Einheit aufzugeben. Die katholische 
Kirche ist in Deutschland nie so gehiitschelt worden, wie in Frankreich unter Ludwig 
dem Heiligen und Ludwig August; sie ist in Deutschland nie so zur Apotheoss der Mou- 
archie missbraucht werden, wie unter Ludwig XIV. und Nspoleon 111., unter wslcb' 
Letzterem der Pfarrer zu einer Art Muire wurde, dessen hervorragende Aufgabe darin 
bestand, seine Pfnrrkinder in der entsprechenden Stimmung zur Wahlurne zu geleiten. 
Der Protestantismus in Deutschland entbehrt fast allen Luxus, er ersieht das Volk zur 
Sparsamkeit, Nüchternheit und Arbeit. Dazu kommt, dass ein grosser 'l'heil von Deutsch- 
land von der Natur nicht in dem Masse begünstigt ist als Frllllsfßißfl. Die Voraussetzun- 
gen der Kunst-Industrie sind daher, wie gesagr, in Deutschland ganz andere als in Frank- 
reich. Die deutsche und die französische Kunst-Industrie werden sich daher eben so 
ausschliessen wie ergänzen, nie ineinander aufgehen. Nur jene gednnkenlose Industrie, 
die vom geistigen Diebstahl lebt, hat sich in Deutschland von französischen Ideen 
genährt. 
Die deutsche Gesellschaft bietet bei der Nüchternheit ihrer Weltanschauung der 
Kunst-Industrie eine anders geartete, bescheidenere Basis; dnge en bat sie einen starken 
Rückhalt in der deutschen Kunst, denn die Vertiefung des Geistes liegt im Wesen der 
deutschen Nation, welche jene Zähigkeit und Festigkeit des Willens besitzt, die grosse 
Erfolge auf kunstindustriellem Gebiete sichert. Eine Reihe von Eriindungen, die für die 
Kunst-Industrie von unschätzbarem Werthe sind, sind von Deutschland ausgegangen, so 
die Erfindung des Kupfcrstiches, des Holzschnittes, der Lithographie. Wenn es sich daher 
darum handelt, der Kunst-Industrie neue Zweige und neue Richtungen zuzuführen, so 
kann dies nirgends in so methodischer und vollständiger Weise geschehen, als in Deutsch- 
laud. Rechnet man hinzu, dass der deutschen Kunst-Industrie die Abratzwege im Welt- 
 
Ilartselzomg auf der Beilage.
	        
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