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Diese Richtung der Gewerbe Württembergs entspricht auch voll-
ständig den Grundbedingungen der Entwicklung des Landes. Seine Be-
völkerung ist wohlhabend, ohne hervorragenden Reichthum Einzelner,
ohne drückende Noth der Arbeitenden. Das Land regt mehr zur Arbeit,
als zum Genusse an; der Unterricht wird in verständiger Weise geför-
dert; insbesondere gilt dies vom gewerblichen Unterrichts, der, mit fester
und sicherer Hand geleitet, dem Eindusse dilettantisoher Versucher ent-
rückt ist. Leider haben diesmal die Schulen Württembergs nicht aus-
gestellt; nur einzelne wenige Schulen, wie die Fortbilduugsschule in Ulm,
die Webereischule in Reutlingen, mehrere weibliche Arbeitsschulen etc.
waren auf der Ausstellung vertreten. Wenn aber im nächsten Frühjahr
die projectirte Ausstellung sämmtlicher Schulen Württemberg! zu Stande
kommen sollte, da wird es sich zeigen, nicht blos, was die Schulen leisten,
sondern auch, weleh' grosser Segen es für Württemberg ist, dass die Ge-
werbeschulen nach gesunden Principien eingerichtet, von Männern ge-
leitet und überwacht werden, welche im Schulwesen erfahren sind.
Die Kunstgewerbe waren auf dieser Ausstellung im Ganzen wenig
hervorragend und wenig zahlreich vertreten. Auf diesem Gebiete bleibt
Württemberg seit langer Zeit stationär. So wenig es im Stande war,
auf den Weltausstellungen in den Zweigen der Kunstgewerbe eine her-
vorragende Stellung einzunehmen, ebenso wenig ist dies auf der schwit-
bischen Gewerbeausstellung in Ulm der Fall. Für die Geschmacksbildung
wurde eben und wird in Württemberg wenig Sorge getragen und die
Stuttgarter Kunstgewerbeschule, erst vor wenigen Jahren gegründet, ist
noch viel zu jung, als dass man eine Wirkung auf die Gewerbe jetzt
schon erwarten könnte. Sie steht gegenwärtig unter der Leitung des
tretflichen Zeichners und Architekten Herrn Gnauth, und hat, das geht
aus der Ulmer Ausstellung klar hervor, eine grosse Aufgabe zu erfüllen.
Wenn es in der Absicht der Veranstalter dieser Ausstellung gelegen
wäre, eine hervorragende, ganz gelungene Leistung des Geschmackes
durch Medaillen oder Diplome besonders auszuzeiehnen, so würden gewiss
nur sehr wenige Werke -- etwa eine Christusügur in Holz geschnitzt,
die Restauration der Glasfenster des Münsters, die in einzelnen Proben
vorgelegt wurden, Muster von Parqueten und einiges Wenige noch, in
Betracht zu ziehen gewesen sein. Aber man hat dies nicht im Auge ge-
habt, sich vielmehr fast ausschliesslich die Förderung des Nützlichen und
nicht des Schönen zum Ziele gesetzt. Und um die Förderung des Ge-
schmackes ist es ein eigen Ding. Man kann diese durch vereinzelte Mass-
regeln nicht erreichen, sondern man muss das Ganze dabei im Auge bo-
halten. Nur wenn im Grossen und Ganzen die Geschmacksrichtung ge-
tbrdert wird, nur dann kann eine Kunstgewerbeschule gedeihen. Diese
bedarf eines geebneten und vorbereiteten Terrains zu ihrer Entfaltung.
Auf den weiten Gebieten der übrigen gewerblichen Thätigkeit, sowohl