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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1872 / 77)

allmälig zu ihr, das Auge vorbereitend, über. Dazu kommt ferner noch 
Zweck und Bedeutung des Gegenstandes, welche keine ernsten sind und 
daher mit der hohen Würde eines Kunstwerkes, des Gemäldes, nichts ge- 
mein haben. Wollen wir den Spiegel aber einigermassen künstlerisch be- 
handeln, insoweit als der leichtere Charakter des Obiectes es gestattei, so 
haben wir keinen andern Platz für den decorativen Ausdruck der künst- 
lerischen Idee als auf dem Rahmen. Es folgt daraus, dass derselbe für 
den Künstler der allein wichtige Theil am Spiegel ist, weil eben der ihm 
allein zugängliche, dass in ganz anderer Weise als beim Bildrahmen, wo 
die Umfassung der dienend untergeordnete Theil ist, dieselbe hier der 
herrschende, der alleinige Schauplatz der künstlerischen Thätigkeit ist und 
ihm soweit die Superiorität über die Spiegelplatte gebührt, die nur als 
Product einer mechanischen Arbeit erscheint. _ 
Der Spiegel dient den am wenigsten philosophischen Aeusserungen un- 
seres Culturlebens. Die Lust am Selbstbewundern, Putzen und Schmücken 
hat ihn erfunden, den Stempel dieses Dienstes soll er tragen, wenn wir ihn 
künstlerisch zieren wollen. So haben alle Zeiten gedacht. Das Mittelalter fasste 
ihn in kostbares Elfenbein und schnitt amorose Abenteuer, Erstürmungen von 
Minneburgen, Kämpfe mit Rosengeschossen, Phyllis auf dem Aristoteles rei- 
tend etc. hinein; die Renaissance schloss ihn in Edelsteine, Perlen, Gold und 
Emailgehäuse ein und die Barocke stellte auf dem krönenden Abschluss oben 
alle möglichen Geschichten galanten Inhalts, Schäfer- und Götterabenteuer 
in Schnitzwerk dar. Die" Ausstellung enthält ein wahres Kleinod von Spie- 
gel, ein Werk, das durch Composition und Arbeit dem Würdigsten an die 
Seite gestellt zu werden verdient, der Spiegel in dem von Phil. Haas 8c 
Söhnen aufgestellten Boudoir, entworfen von Prof. J. Storck, ausgeführt 
von Lobmeyr und Hanusch._ Ohne deutlichere ligurale Beigaben zu 
Hilfe zu nehmen, gelang es dem Künstler, in vollendeter und ansprechend- 
ster Weise die im Obigen angezeigte Bestimmung seiner Schöpfung zu 
charakterisiren. Wir werden nicht von schalkhaft tändelnden Amoretten 
oder dgl. aufmerksam gemacht, dass hier nicht ein Gegenstand tiefemster 
Bestimmung vor uns steht, - sondern es ist diese Absicht durch die 
blos ornamentale Cornposition - durch die Wahl der Stoffe und durch 
die farbige Decoration in reizender Weise erreicht. Der Eindruck des 
Ganzen, wie es sich auf leichten krystallenen Säulchen von spielenden For- 
men, buntglitzernd von grossen rothen und smaragdfarben Gemmen, von 
Vergoldung unterbrochen aufthürmt, hat etwas von der Ueppigkeit des 
Orients und doch das Massvolle der Renaissance; es entspricht wun- 
dersam wahr, fast wie ein Ergebniss psychologischer Auffassung der Auf- 
gabe, seiner Bestimmung für einen Dienst, in dem das Werk kindlich hei- 
terem Selbstgefallen seine spiegelnde Fläche darzubieten hat. 
 
Furtsetgung auf der Beilage.
	        
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