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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe VII (1872 / 77)

doch ist es über die blasse Imitation weit hinausgegnngen und als ein völlig selbst- 
ständiger Zweig zu betrachten. Die Merkzeichen seiner Selbstständigkeit sind allerdings 
nicht immer glücklich. Zwar ist seine Palette weitaus reicher als diejenige, welche 
Palissy für seine Schüsseln und Gefasse zu Gebote stand; es scheinen alle Schwierigkeiten, 
welche die frühere Technik in Bezug auf die Farben fand, vollständig überwunden zu sein; 
selbst alle die coloristischen Specialitäten der chinesischen und japanischen Fayencen sind 
in glänzendster Weise wieder gegeben: aber eben diese Unbeschranktheit der Mittel hat 
dazu verleitet, das künstlerische Mass aus dem Auge zu verlieren. Vielleicht ist es auch 
die Nachgiebigkeit gegen den englischen Geschmack, dem der Sinn für feine, milde, wohl- 
zusammengestimmte Harmonie noch nicht aufgegangen ist, der vielmehr noch starker Con- 
traste, daher der buntfarbigen Erscheinung bedarf, um Wohlgefallen zu empfinden. Diesem 
Geschmack entsprechen denn auch die englischen Fayencen; so vortrefflich die Farben im 
Einzelnen sind, so sind sie in ihrer Zusammenstellung weitaus harter, greller und unhar- 
monischer als das Colorit der Werke Palissy's. 
Aehnlich verhalt es sich mit den Formen der Gefässe. Potterien dieser Art - es 
liegt das in ihrem Material -- verlangen eine gewisse Einfachheit der Formen, im 
Contour eine ßiessende, schöne Linie ohne viel abspringende Gliederung. So war es auch 
in den Zeiten der Renaissance der Fall, sowohl bei den italienischen wie bei den fran- 
zösischen Majoliken. Aber gerade dieser Forderung handeln die modernen englischen 
Fayencen zuwider. Derselbe Geist, der sich in dem bunten Colorit zu erkennen Ebt, 
derselbe spricht auch aus den willkürlichen, oft wilden Fon-nen mit zahlreic en, 
weit abspringenden Gliedern, ja mit zopiigen und naturalistischen Elementen. So ist das 
ganze .Genre wohl als ein höchst erfreulicher Fortschritt zu betrachten, es finden sich auch 
einzelne, vortrefflich gelungene Arbeiten darunter, aber der allgemeine Charakter ist 
dennoch zu barock, zu wild und bedarf der zügelnden Führung, welche von einem 
solchen Institut wie das Kensingtcn- Museum wohl zu erwarten gewesen wäre. 
Minder entschieden in ihrer Richtung sind die französischen Fayencen. Es hat 
sich ein so eigenartiges Genre, wie das englische, noch nicht bei ihnen herausgebildet. 
Die französischen Fayencen, die zahlreich und im Einzelnen bedeutend auf der Ausstellung 
vertreten waren, standen noch weit mehr auf dem Standpunkte der Imitation. Mit Vorliebe 
waren dafür die eigenen Potericn der französischen Fabriken vom 17. und mehr noch vom 
18. Jahrhundert erwählt, keineswegs aber mit glücklichem Griff, da diese Fayencen, wenn 
sie auch viel Gutes darbieten, doch in ihrer I-Iauptmasse selbst bereits Nachahmungen des 
orientalischen, selbst des europäischen Porcellans sind. Ihnen zur Seite als die nächst be- 
deutende Gruppe traten die Imitationen orientalischer Poterien, namentlich indischer und 
persischer. Zahlreiche Gegenstände bekunden, dass dieses Genre mit seinen reichen und 
schönen Schmelzfarben bereits in das Leben zu dringen beginnt. Das ist durchaus wün- 
schenswerth und man muss diesen Arbeiten der Franzosen alle Anerkennung wiederfahren 
lassen, wenn es auch bei ihnen nach französischer Weise nicht ohne Willkürlichkeit 
und Phantasterei abgeht. Weniger aus praktischem Gesichtspunkte wird die Imitation der 
französischen und italienischen Majoliken des 16. Jahrhunderts betrieben, obwohl sie viele 
und geschickte Vertreter findet. Es scheint sich bei diesen Arbeiten mehr um Kunststücke 
wie z. B. die mit Thieren und Pflanzen im Relief bedeckten Schüsseln Palissys, um Rari- 
täten, um Schaustücke für Liebhaber und Cabinette zu handeln, als um den Gebrauch. 
Der Gesichtspunkt ist mehr der antiquarische als der industrielle, und so lange das der 
Fall, ist ein solches Genre noch nicht in Fleisch und Blut des industriellen Lebens über- 
gegangen. Alles in allem genommen zeigten jedoch die französischen Fayencen, wie mach- 
tig sich auch in Frankreich dieser Industriezweig erhoben, ja er schien künstlerisch bereits 
so ausschliesslich zu herrschen, dass sich die Porcellane Frankreichs gar nicht auf die 
Ausstellung gewagt hatten. Dass Sevres fehlte, war nach den Schicksalen , die es erlitten 
hat, nur natürlich, aber auch die Privatfabriken, die zum Theil sehr bedeutend sind, waren 
ausgeblieben. 
Höchst charakteristisch zeigte sich nun, dieser Entwicklung der Fayencen gegenüber, 
die Veränderung, welche künstlerischerseits mit dem Porcellan vorgegangen war. 
Ich habe bereits gesagt , dass die Fayencen das eigentliche Luxusgebiet der Poterien zum 
grössten Theil für sich genommen hatten. Dies gilt jedoch eigentlich nur von England 
und Frankreich , allerdings den bedeutendsten Industrielandern auf diesem Gebiete, zum 
Theil auch von Italien, das aber nicht ausgestellt hatte. In den anderen Ländern, vorzu s- 
weise in Deutschland, auch in Oestcrreich und in den skandinavischen Ländern, hat as 
Porcellan fast ganz seine alte Stellung behauptet, weil die Fayencen überhaupt nur in 
einem sehr geringen Masse bis jetzt zu einem Gegenstand der Kunstindustrie geworden 
sind. Dennoch haben sie auch hier indirect auf die Umgestaltung des Porzellans ein- 
ewirkt. 
g Das Porcellan wird den Kunstfayencen gegenüber ein Gebiet immer behaupten, 
das ist das Gebiet des eigentlichen Tisch- und Tafelgeschirrs, denn hier hat es aber- 
wiegend praktische Vorzüge, da es ohne Vergleich solider ist. Es ist aber auch in
	        
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