sehen dem wirklichen Leben und den abstracten Theorien: sie vermitteln sozusagen die
Vergangenheit und Zukunft unserer kunstgewerblichen Entwicklung und mahnen unwill-
kürlich an, die geistvolle Bemerkung eines deutschen Gelehrten, der Ausdruck K_unst
sei keineswegs aus Einer Wurzel entstanden, vielmehr auf zwei Stammwörter zurückzu-
führen auf: Kennen und Können.
Die hervomtgende Stellung, welche die moderne Kunstindustrie seit wenigen Jahren
einnimmt, liefert in der That den besten Beweis für die Richtigkeit der angeführten Bemer-
kung. Wohl kann die sorgfältige Behandlung der verschiedenen Rohstoffe, die Verwendung
sinnreich construirter Maschinen Fachleute befriedigen und erfreuen; kommt aber bei all'
den auf solche Art entstandenen Erzeugnissen zur Technik nicht das Moment einer ge-
schmackvolleren Ausführung oder Ausschmückung hinzu, so ist man wohl kaum berechtigt,
von einer Veredlung des Gewerbes zu sprechen. Einer der nennenswerthesten Fortschritte
auf dem Gebiete des Gewerbes datirt von dem Zeitpunkte, wo man darauf Bedacht nahm,
den reichen, nur zu lange unbenutzten Culturschatz früherer Jahrhunderte sorgfältig zu-
sammenzustellen, Mustersammlungen anzulegen, die von unseren emsigen Vorfahren in
einzelnen Zweigen der Kunstindustrie und der so sorgsam gepflegten Kleinkunst erzielten
Fortschritte wieder aufzunehmen und organisch fortzubilden.
Die technische Fertigkeit, mit der irgend ein Object erzeugt wird, genügt eben nicht
zur Herstellung eines den Anforderungen kunstsinniger Käufer entsprechenden Gegen-
standes; ein feines Verstandniss der zu lösenden Aufgabe, ein richtiges Gefühl für die ihr
am meisten entsprechende Form, kurz Geschmack in Erfindung und Ausführung jedes
Artikels sind für das gewerbliche Schalfen unbedingt massgebende Factoren geworden
und ihre Berücksichtigung allein erhebt den Gegenstand zum Range eines k unstgewerb-
gchen, d. h. nicht blos zweckmässigen, sondern auch den Geschmack befriedigenden
bjectes.
Dieser Erkenntniss verdanken auch wohl zumeist jene Gewerbeschulen und kunst-
gewerblichen Bildungsanstalten ihr Entstehen, welche unter der Leitung erprobter Kunst-
kenner mit stets wachsendem Erfolge dem ererbten Herkommen gedankenloser Routine
in der Thätigkeit der Gewerbetreibenden entgegenarbeiten.
In einem noch hoheren Grade aber beruht die Gründung der Museen für Kunst-
gewerbe, dieser kunstgeschichtlichen Schatzkammern, auf der richtigen Erkenntuiss des
veredelnden Einflusses der Kunst auf die Industrie. Von diesem Standpunkte aus wollen
die Verdienste der ebenso reich bedachten, als gemeinnützigen Kunstgewerbe-Museen in
Paris, London, Edinburgh, Moskau, Berlin, Stuttgart, München, Weimar, Gotha, Limoges,
Lyon u. a. m. gewürdigt werden. An diese reihen sich dann passend jene Museen an,
die zwar nicht direct Kunst und Kunstgewerbe fördern, die aber, indem sie wissenschaft-
liche oder statistische Zwecke verfolgen, indirect gleichen Zwecken dienen. Auch diese
Institute sind ein Product der modernen Culturbestrebungen. wie z. B. das germanische
Museum in Nürnberg, das römisch-germanische in Mainz, das Museum Wallralf-Richartz
in Coln, die Museen in l-lavre, Amiens, Toulouse u. a. m.
Wie sehr diese Schöpfungen der Neuzeit dem Bedürfnisse unserer Generation ent-
sprechen, braucht hier nicht eingehend hervorgehoben zu werden; ihr zahlreicher Besuch,
ihre eifrige Benutzung, ihr bereits deutlich erkennbarer Einfluss auf die moderne Industrie
geboren zu jenen unleugbaren Thatsachen, die jeder Fachmann gern anerkennt.
Diese Museen nun werden ihrer wichtigen Aufgabe in mehrfacher Weise gerecht.
Erstens, indem ihre mit Umsicht und Auswahl angelegten Sammlungen dem Auge
des Kundigen wie des Laien einen wahrhaft ästhetischen Auschauungsunterricht gewähren.
ln ihren Schranken, an ihren Wänden finden nur lehrreiche oder mustergiltige Objecte
Platz. Da lässt sich die allmälige Entwicklung und der Fortschritt in der Erzeugung jeder
Gattung von Artikeln historisch verfolgen und der aufmerksame Beschauer gewinnt die
Fähigkeit den Gesetzen des industriellen Fortschrittes in der bezeichneten Richtung nach-
zugehen. Für eitles Schaugeprange ist da kein Raum, wo, wie in diesen Anstalten, Alles
darauf hinzielt, darzulegen, wie der Werth jedes einzelnen Artikels durch geschmack-
volle Umformung des rohen Naturproductes einer Erhebung fähig ist, die, weit entfernt
seinen Absatz zu beeinn-Achtigm, diesen im Gegentheile vermehrt.
Zweitens, wirken diese Museen hechst erspriesslich durch die mit denselben ver-
bundenen kunstgewerblichen Fachschulen. Da findet sich das lebendige Wort zur todten
Vorlage, die Erklärung zum Modell. Die hier beschäftigten Lehrer weisen ihren Schülern
alle jene wesentlichen Eigenschaften nach, die jedes Erzeugniss der Industrie, auch das
zum alltäglichen Gebrauche bestimmte, besitzen muss, um den Anfordefungen eines ge-
lauterten Schdnheitssinnes zu entsprechen. Hier lernen also die Zöglinge den Werth der
in sich abgeschlossenen Einfachheit schätzen, das Stylgesetz der Symmetrie verstehen und
anwenden, und werden auf solche Weise zu Männern gebildet, die später den Markt mit
kunstgerechten Waaren versehen, d. h. mit solchen, die sich durch verständige Gesetz-
massigkeit, durch masshaltenden Schmuck auszeichnen.