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Russische Bestrebungen zur Förderung der Kunstuewerbe.
Ueberall, wo man die Kunst nicht als eine exclusive Thätigkeit der
Künstler piir excellence, sondern als Volksthärigkeit betrachtet, treten die
Bestrebungen hervor, die Kunst im Volke, in seiner gewerblichen, indu-
striellen, dem unmittelbar praktischen Leben zugewendeten- Arbeit zu be-
leben. ln Russland verfolgt man diesen Zweck bereits seit längerer Zeit
und verbiddet ihn mit den Bestrebungen, der gewerblichen Thätigkeit der
russischen Volltsstämme einen bestimmten nationalen Typus in der Kunst-
forni zu geben.
Schon in der Moskauer Ausstellung von 1865 und der Pariser Welt-
ausstellung "von 1867 sind diese Bestrebungen bestimmt hervorgetreten.
Die Gold- und Silberarbeiten der Herren Sasikoff und Outschinikoff,
die Schmuckarbeiten von Tschitchiloff, die Brocate und dessinirten
Seidenstode von Sapoinikofbf legten die Tendenz klar, durch unabhän-
giges Studium der Quellen der sagen. hatidnalen Kunst ihren Producten
einen nationalen, speciiisch russischen Charakter zu gehen. Auch in man-
chen Tulaarbeiten und Erzeugnissen der Glas- uind Thonindustrie kamen
ähnliche Bestrebungen zuni Vorschein. ln der Beziehung waren damals
einige russische Firmen weiter, als verschiedene unserer Producenten, die
glaubten und noch glauben, Wunder was geleistet zu haben, wenn sie
einige französische oder andere ausländische Muster so rasch als möglich
riaehuhmten, und unsere Kunirfreunde, deren geistiger Horizont heutigen
Tages noch nicht weiter ist als zu Zeiten Bouchefs, und die nichts
eiliger zu thun haben, als die modernen Nachtreter der Manieristen der
Zeit Rudolf ll., der Goltzius, van Aachen. Spranger unter ihre schützen-
den Fittige zu nehmen. ,
Auf der Weltausstellung 1867 lernte man auch einige archäologische _
Bestrebungen kennen, welche den Zweck hatten, als Basis dieser kunst-
gewerblichen russisch-nationalen Thätigkeit zu dienen. Herr Martinoff
machte im Auftrage des russischen Ministeriums Studien über die sogen.
altrussische Kunst in Novgorod und Riazan, Rumiantzoff gab die
russischen Miniaturen in den Perglmentcodices der Kathedrale von Moskau
heraus; eine Reihe von Gypsabglissen nach altrussischen Originalen lagen
vor, meist publicirt von der an das Moskauer Museum für Kunst und
Industrie angelehnten Schule Stroganoi-f, so Abgüsse nach Originalen der
Kirche St. Demetrius zu Vladimir, der Thüre zu Korsun, der Kirche zu
Souzdal, des Conventes Tschoudolf, der Kirche Nereditzky bei Nov-
gorod u. a. m.
Mit diesen Bestrebungen stand die Schule Stroganotf in Moskau in
Einklang. Sie wurde 1860 gegründet, nach Auflösung zweier älterer,
vom Grafen Kankrine gegründeten Schulen. Die Schule Stroganoff
sollte vor Allem Zeichner für Fabriken und Schulen liefern. Mit ihr stand
ein Museum in Verbindung, das am 29. April 1864 erölfnet wurde. Beide