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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe XII (1897 / 1)

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gleichen Blüthe und Selbständigkeit zu führen, wie si'e die moderne 
Malerei auf dem analogen Wege bereits errungen hat. 
Worin liegt der Charakter des Barockstils? Wir haben in Wien 
genug der Baudenkmäler, die wir darnach befragen können. Nehmen wir 
ein kirchliches und ein profanes Denkmal, z. B. die Kirche am Peter und 
die Hofburgfassade gegen den Michaeler Platz, in ihrer Vollendung gemäß 
dem ursprünglichen Entwürfe. Der Grundriss verräth in beiden Fällen 
streng symmetrische Anlage, ausgesprochene Scheidung in Mitte und 
Flügel. Aber die Wände sind nicht in geraden, sondern in krummen 
Linien geführt. Der Grundriss der Peterskirche ist ein Oval, ihre Fassade 
ist einwärts ausgebaucht; ebenso ist die Hofburgfassade in der Mitte in 
concaver, an den Flügeln aber in convexer Curve geschwungen. Betrachten 
wir endlich das Detail, die Säulen und Pilaster mit ihren Capitälen und 
Gesimsen, die Umrahmungen von Fenstern und Thüren. Auch an diesen 
herrscht die gekrümmte Linie, die Volute, der Schnörkel. Das Detail ist 
im Grunde ein structives, abgeleitet von den Functionen der damit ver- 
zierten Bautheile, an rein schmückenden Zuthaten verhältnissmäßig arm 
aber mit den wenigen structiven Elementen, den Giebeln, den Rahmen- 
balken u. s. w. wird ein mehr oder minder üppiges decoratives Spiel ge- 
trieben. 
So präsentirt sich uns der Barockstil in Wien. Wer sich aber auBer- 
halb Wiens, außerhalb Oesterreichs und Deutschlands umsieht, wird bald 
erkennen, dass diese Wiener Bauten keineswegs den reinen und ursprüng- 
lichen Typus des Barockstils darstellen. Der Barockstil ist in Italien ge- 
boren; als seinen ältesten Begründer nennt man niemand Geringeren als 
Michelangelo, womit also seine Anfänge bis in die erste Hälfte des r6. Jahr- 
hunderts zurückdatirt erscheinen. Völlig ausgebildet tritt uns dieser ur- 
sprüngliche römische Barockstil gegen das Jahr 1600 entgegen. In Wien 
besitzen wir glücklicherweise ein Baudenkmal, das uns wenigstens in seiner 
Grundanlage und in seinem Aeußern eine leidliche Vorstellung vorn 
römischen Barockstil verschafft! die Jesuitenkirche am Universitätsplatz. 
Was zeigt uns diese Kirche? Im Grundriss eine streng viereckige Lang- 
haus-Anlage, dazu eine Fassade mit geraden Wänden, auch im Detail 
fast lauter geradlinige Formen. Was hat sie mit der Wiener Peterskirche 
gemein? Von Hauptsachen blos die streng symmetrische Anlage; sonst 
begegnen uns fast lauter Gegensätze. Dort fanden wir Alles in Bewegung 
und Schwingung, hier ist Alles in starrer, fast trotziger Ruhe. 
Es herrscht also ein tiefgehender Unterschied zwischen dem strengen 
römischen Barockstil und seinem späten Ableger in Wien vom Anfange 
des 18. Jahrhunderts. Gemeinsam ist ihnen hauptsächlich blos die streng 
i symmetrische Grundanlage; dadurch unterscheiden sie sich nämlich gegen- 
über ihrer Vorgängerin, der Renaissance; dieser gegenüber erscheinen alle 
Abarten des Barockstils in der That als eine Gesarnmtheit. Die Renaissance 
hat die heterogensten Bautheile naiv aneinander gefügt; sie hat sich 
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