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Im Fluge will es gesehen und beurtheilt werden. Ein Scherz, ein Ausruf
ein Stimmungsaccord, nichts weiter.
Aber auch für diese ephemere Production nimmt das Verständniss
allmälig zu. Dass man speciell in England gerade für das Skizzenhafte
und Improvisirte lebhaftes Interesse hat, ist vielfach dem Umstande zu-
zuschreiben, dass nirgends so viele Dilettanten zeichnen, malen, ent-
werfen und copiren wie hier. Ihr Treiben entzückt die Mitwelt in der
Regel nicht, aber für ihr persönliches Verhältniss zur Kunst und für die
.Wechselbeziehung zwischen Künstler und Publicum ist es von hoher
Bedeutung. - Endlich hat sich auch das Darstellungsgebiet der Illustration
zufolge der vorzüglichen Reproductionstechniken außerordentlich erweitert.
Der grelle Sonnenschein, der trübe Nebel, Morgen und Abend, das mannig-
fache Getriebe in der Atmosphäre wie auf dem Wasser, das nächtliche
Dunkel und die grellen Effecte modernen Beleuchtungswesens lassen sich
entzückend wiedergeben. - So war also nach technischer Seite der Weg
für eine großartige Entwicklung des lllustrationswesens geebnet. Wie
fast überall, so hatte auch hier die angewandte Naturwissenschaft dem
allgemeinen Culturfortschritte in ungeahnter Weise vorgearbeitet. Aber
Alles, was wir eben erwähnt haben, kommt nicht den Engländern allein
zu Gute. Die Fortschritte der Illustrationstechniken sind internationaler
Besitz. Besser noch als die Engländer wissen ihn die Amerikaner zu ver-
werthen, und Vieles, was der englische Künstler zeichnet, wird in Wien
dem photomechanischenVerfahren unterzogen. Die technischen Fortschritte
haben nur die physische Möglichkeit geschaffen, die mechanische Vor-
bedingung für ein umfangreiches Illustrationswesen. Die geistige Vor-
bedingung liegt "in der Entwicklung der englischen Malerei, die ganz
ihre eigenen Wege gegangen. Ohne sie zu kennen, ist es ganz unmöglich,
die englische Illustrationskunst zu verstehen, denn sie hängt in allen
ihren Gattungen mit ihr zusammen, verhält sich zu ihr wie die Glieder
einer weitverzweigten Familie zu ihren Stammeltern.
Der englische Illustrator ist in der Regel kein Akademiker. Er hat
entweder selbst in mühevoller, rastloser Arbeit allmälig" den Weg zur
Künstlerschaft gefunden oder sich auf einer bestimmten Stufe seiner Aus-
bildung nach eigener Wahl einem Meister angeschlossen, mit dessen Kunst
er sympathisirte, der seinem Ideal am nächsten kam. Wenn es ihm ge-
lang, in dessen Atelier Aufnahme zu finden, so suchte er unter dessen
Führung zur Meisterschaft vorzudringen. Der individuellen Entwicklung
war dieser Zustand ohne Zweifel äußerst günstig. Ihm verdankt die eng-
lische Illustration die außerordentliche Vielseitigkeit, die Complication
der Verhältnisse und Beziehungen, den scheinbaren Mangel einheitlichen
Wesens.
Je nach dem wesentlichen Charakter ihrer Richtung trennen sich die
Meister der Illustration in zwei große Lager: in die decorativen Künstler
und in die Naturalisten. Der Begriff der decorativen Kunst wird in Eng-