Darüber sind nun dreißig bis vierzig Jahre in's Land gegangen und
es darf nicht befremden, dass die Kritik sich wieder auf verschiedenen
Seiten regt. So jubiläumsfroh die Gegenwart ist, gönnt sie doch den
Dingen nur ungern die ungestörte Dauer eines Menschenalters. Ein nicht
geringer Theil des Publikums verwechselt Kunstmuseen mit den Kunst-
vereinen (wobei nicht an den spöttischen Sinn, den Schwind diesem
Worte beilegte, gedacht zu werden braucht), mit Anstalten also, die
fortwährend für Abwechslung sorgen: man besucht die Galerien nicht,
um sich zu erbauen, sondern um Neues zu sehen, und überlässt sie, wenn
diesem Begehren nicht genügend entsprochen werden kann, den Fremden.
Auch soll die Kunst nicht hinter der Mode zurückbleiben, die ja so
phantasiereich ist, um für jede vSaison- einen neuen - Stil in der Kleidung
aufbringen zu können und verlangen dürfte, dass Mobiliar u. s. w. sich
jedem solchen neuen Stil anpasse. Hat die Industrie Anfangs vielleicht
übertriebene Erwartungen gehegt, so findet sie wohl, dass "nicht alle
Blüthenträume reiftenu; und muss sie auch zugestehen, dass die er-
nüchternden Zeitumstände nicht von den Bildungsanstalten verschuldet
sind, so bleibt doch der Schluss, dass sie auch keine Besserung gewähren.
Genug, "es muss Vieles anders werden, wenn die Kunstgewerbetnuseen
ihre Aufgaben erfüllen sollenc.
Ob und wie reformirt werden solle, darüber ist es in neuester Zeit
sogar zwischen zweien der ausgezeichnetsten Sammlungsvorstände in
Berlin, Wilhelm Bode vom königlichen Museum (im i-Panu) und Julius
Lessing vom Kunstgewerbe-Museum (im wKunstgewerbeblatt-i), zu einer
ziemlich scharfen Auseinandersetzung gekommen, in der gelegentlich
auch österreichische Verhältnisse gestreift wurden. Wie bei Autoritäten,
gleich den genannten, selbstverständlich ist, bringt jeder Gegner reiche
Erfahrungen und beachtenswerthe Vorschläge zur Sprache, und in vielen
Punkten sind die Differenzen nicht so sehr grundsätzlicher Natur, als
sie vielmehr die Frage betreffen, ob die Reformen unverzüglich in Angriff
genommen werden sollen und können oder nicht. '
Als die Bewegung begann, nahm man naturgemäß das System der
Anordnung der Sammlungen an, das in London bereits seine Probe be-
standen hatte, nämlich das Zugrundelegen des Materials und der Technik
der Gegenstände. Abweichungen ergaben sich von selbst. Schon die Leih-
Ausstellung bei Gelegenheit der Londoner Ausstellung von 1862 musste
überzeugen, dass in keinem anderen Lande solche Schätze zu gleichem
Zwecke aufzubieten sein würden, geschweige, dass ein anderes Institut
auf so reiche Mittel rechnen dürfe wie das Kensingtun-Museum. Nur
ausnahmsweise wurden den neuen Anstalten die passenden Bestände
alter Sammlungen einverleibt, wie die der Berliner Kunstkammer; man
war zumeist darauf angewiesen, durch Ankäufe auf dem Kunstmarkte
Typen der Arten der Technik und der Stilgattungen herbeizuschaifen,
mit der stillen Hoffnung, bei Gelegenheit die geringeren Arbeiten durch