Dieser Hoffnung entspricht aber das vorliegende Werk nur zum geringen Theil. Es er-
gänzt wohl das Verstandniss für Klinger. aber eine Einführung in den Geist seines
Schaffens bildet es nicht. Eine abgeschlossene Charakteristik gibt nur der Text, der
selbständig und ohne Rücksicht auf die vorhandenen Abbildungen abgefasst ist. Auf das
dem Text zu Grunde liegende Abbildungsmaterial müssen wir aber verzichten. Es herbei-
zuschaffen und in systematischer Weise anzuordnen, stieß offenbar auf unüberwindliche
Hindernisse. Sonderrechte und commercielle Interessen dürften sich, wie so oft, auch
hier einem zweckentsprechenden Durchführungsplane entgegengestellt haben, und so
bildet dieses, Wenngleich ohne Zweifel unter bedeutenden Opfern und Muhen entstandene
Werk im Wesentlichen nur eine Erweiterung und Vervollständigung des bereits Publi-
cirten, das aber, wie gesagt, leider noch lange nicht genügend bekannt ist.
Die Vollbilder nach den 25 Textillustrationen beginnen mit acht Federzeichnungen
zum Thema Christus, im Besitze der Berliner Nationalgalerie, höchst charakteristische
und für den Entwicklungsgang des damals ztjahrigen Künstlers bedeutungsvolle Blätter,
nicht ungeeignet, ein frühes Entwicklungsstadium Klingefs zu demonstriren. Hierauf
folgen sechs Blätter einer classischen Anthologie, die sich zeitlich dem Vorangegangenen
gut anschließen, und für Klingefs eigenartiges Decorationstalent, das auch im Neben-
sächlichen alles Bedeutungslose vermeidet, sprechendes Zeugniss ablegen. Es sind höchst
anmuthige Phantasien, Prnducte jener kurzen Entwicklungsphase Klingefs, in der er
dem allgemein geltenden Geschmack: nahe kam.
So weit ist gegen die Reihenfolge der Blatter kaum Wesentliches einzuwenden.
Nun folgt aber ein großer Sprung. Die nächste Seite beginnt mit op. X, oEine Lieben.
Ein weiter Weg in der Entwicklung des Künstlers liegt zwischen diesem und dem vorher
genannten Werke. Schwer vermissen wir die berühmte nParaphrase über den Fund eines
Handschuhesu, die -Rettungen Ovidischer Opfern, die i-lntermezzi- und vieles Andere.
lndess ist die Reproduction dieser zehn Blätter insoferne eine höchst verdienstvolle Gabe,
als die Originaldrucke dieses Cyklus vergriGen sind. Was nun weiter folgt, entzieht sich
so gut wie ganz jeder systematischen Behandlung. Der Zufall hat es zusammengebracht.
Oelbilder, gegenwärtig theils im Privalbesitz, theils Eigenthum des Künstlers, Farben-
skizzen, das Vereinsdiplom der deutschen Spiritusfabrikanten und allerlei Studien, darunter
solche zu op. lX: wVom Todes, (wie nMutter und Kind: und i-Elendn) zur nBrahms-
Phantasie- und Anderes. Unter diesen Blättern dürften die Heliogravuren nach Klingefs
Oelgernälden, die sich zum großen Theil im Privatbesitz befinden, die willkommensten
sein. Einige davon, wie wSpaziergangn, rGesandtschafn und lParis' Urtheill, reproduciren
zwar das Original in allzu starken Reductionen, andere dagegen, wie rSireneu, IAm
Strandes und wCampagnav, geben die ursprüngliche Stimmung deutlich wieder.
Höchst dankenswerth sind endlich die drei Reproductionen plastischer Werke:
nSalomeu, nKassandrau und nTanzerinu. Sie bilden, obwohl in ihrer Art ebenso abseits
stehend von jeder Tradition wie die Gemälde, Radirungen und Zeichnungen, diejenigen
Werke, in denen Klinger's Große, so weit diese Collection sie zur Anschauung bringt,
am greifbarsten zum Ausdruck kommt. Man bedauert nur, dass bei nKassandrac und
nSalomeu die farbige Wirkung der Bildwerke nicht wiedergegeben ist, denn hier bildet
die Farbe insofcrne einen noch wesentlicheren Bestandtbeil des Kunstwerkes wie bei
den Oclbildern, als hier die Phantasie nicht nacbhilft.
Auf den Text übergehend, der den Eindruck macht, als hatte der Verfasser der
Bedeutung Klinger's auf dem Wege gesuchtester Wortbildungen und Redewendungen
beizukommen gesucht, kann nicht verschwiegen werden, dass größere Einfachheit und
Klarheit die Lectüre weit genussreicher gestaltet hatte.
Dach wäre es ungerecht, den inhaltreichen und liebevoll durchgeführten Aufsatz
auf das allein bin abfällig zu beurtheilen. Wo der Autor einzelne Werke bespricht, ver-
leihen ihm die genaue Kenntniss und der sichere Faden der Thatsachen in der Regel
auch jene natürliche Diction, mit der man auf gebildete Leser einen viel größeren Ein-
druck zu machen pflegt, als mit hinaufgeschraubten Phrasen, denen man ansieht, dass
sie so lange geknetet und umgeformt wurden, bis ihr dunkler Tiefsinn die Gemein-
verstandliehkeit verlor.
Wien, den 22. Mai 1897. Jos. Folnesics.