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äußerung gelten, als ordnungsloses l-lopsen für Tanz, Lärrnmachen für
Musik genommen werden kann. Das Verhältniss der complicirten Formen
von Lebewesen zum Ordnungsschema einer Zierfurm ist im Ganzen ein-
facher und klarer als oft angenommen werden mag. Die wünschenswerthe
Vertheilung der Massen erfolgt fast stets ohne besondere Schwierigkeit,
und die Linienführung ist zunächst abhängig von jenen Resultanten, die
in der Sprache der Praktiker Empfindungslinien genannt werden.
Wird bei Gebilden animalischer oder vegetabilischer Art das, was
zur Construction erforderlich ist, gewissermaßen erst herausgeschält, und
das ideale Gerippe für sich in Betracht gezogen, so fügt sich das Ganze
leicht. Immer sind Richtung andeutende oder Raum umschließende Linien,
0b nun factisch gezogen oder nur ideal empfunden, das Wesentliche, die
Träger der mannigfaltigsten schmückenden Einzelheiten, realer oder
phantastischer Gestaltung. Der Uneingeweihte betrachtet in der Regel
diese Einzelheiten, als z. B. Blumen und Blattwerk, Bänder, lebend ge-
dachte Thiere und todte emblematische Zuthaten als das Hauptsächliche
eines Ornaments, und sammelt sie, im Falle er angehender decorativer
Künstler ist, als nMotive-i, die er dann oft genug herzlich schlecht zu
verwerthen weiß.
Dass die erwähnten Zuthaten mehr oder weniger nebensächlich sein
können und müssen, ergibt sich aus dem Umstand, dass sie für sich allein
und ganz ohne Rücksicht auf irgend welche Construction beinahe gar
nicht in Betracht kommen, während durch rein constructive Gebilde
allein ,schon ein reicher Ornamentschatz zu schaffen möglich ist und in
mehr als einer Kunstperiode thatsächlich geschaffen wurde. Viele hierher
gehörige Arbeiten werden allgemein mit dem conventionellen Ausdruck
geometrisches Ornament bezeichnet, was insoferne nicht eben berechtigt
ist, als die schönsten und zahlreichsten Beispiele mit Hilfe geometrischer
Lehrsätze allein niemals hätten erfunden werden können, und als auch
keineswegs ausgeschlossen ist, solche gänzlich ohne Beihilfe irgend welcher
geometrischer Form zu erzeugen.
ln den nachfolgenden Zeilen soll hauptsächlich darauf hingewiesen
werden, dass das constructive Princip zu Bildungen führt, die ohne allen
Zweifel als ureigenste Schöpfungen des künstlerisch wirkenden Menschen
zu betrachten sind, d. h. deren Bildung außerdem niemals in der Ab-
sicht der Natur gelegen war, von denen also die Natur kein Vorbild ge-
boten hat.
Jenen gegenüber, die hierin etwa artistische Ketzerei vermuthen
(und ich denke, dass es deren mehr als genug geben wird), möge noch
die Thatsache hervorgehoben werden, dass beispielsweise auch auf dem
Gebiete der Chemie vor noch nicht zu langer Zeit die synthetische Her-
stellung gewisser Verbindungen, für die in der Natur keine Beispiele zu
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