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Form der Lippen entgegenkommt. Ihr runder Henkel erhebt sich in zier-
lichem Bogen über den Rand und erhält, hauptsächlich aus praktischen
Gründen, im Innern oft allerlei ornamentale Zusätze. Den unteren Rand
der Tasse umgibt häufig ein schmaler Wulst. Die Unterschalen ent-
fernen sich ebenfalls etwas von der geradlinigen Form und zeigen ent-
weder einen nach einwärts oder sanft nach auswärts gebogenen Rand.
Die zu solchen Tassen gehörenden Kannen entlehnen ihre Form bereits
entschieden den antiken Vasen. Sie gliedern sich in Fuß, Bauch und
Hals; ihre Contour zeigt gefälligen Linienschwung, und wo es angeht,
gestattet man der Phantasie freien Spielraum. Das ist namentlich bei
den Zuckerschalen der Fall. Der Modelleur ist hier an keine hemmenden
Utilitätsrücksichten gebunden und gestaltet daher dieses Gefäß gerne
zum künstlerisch durchgebildetsten Stück des Services. Gewöhnlich sehen
wir offene, flache Schalen oder vertiefte, runde Gefäße auf hohem, baluster-
oder säulenförmigem Fuß; statt dessen manchmal auch Sphingen, Hermen
oder Harpyen, das Ganze häufig bekrönt durch einen zierlichen, oft
durchbrochenen Deckel, und nicht selten mit einer Strenge componirt,
die angesichts eines so unbedeutenden Gegenstandes fast übertrieben
scheint.
Alle diese Formen richten sich noch nicht durchwegs nach wclas-
sischenu Vorbildern; dies und jenes vom vorangegangenen Genre haftet
ihnen noch an, aber sie sind auf bestem Wege ganz und gar einem
fingirten Griechenthum zu verfallen. Der entscheidende Schritt geschieht
nun, indem die energische Gliederung der antiken Vase, von der man
sich längst eine abstracte Idealform construirt hatte, auch auf die Trink-
gefäße ausgedehnt wird. Auch diese erhalten jetzt einen abgerundeten
Boden, einen mehr oder minder energisch entwickelten Fuß, ihr Henkel
steigt im Schwanenhalsbogen über den Rand des Bechers hinauf und
dieser Rand ist bald nach den Vorbildern der ersten, bald nach denen
der zweiten Gruppe senkrecht geformt oder in sanfter Curve ausgebogen.
Zierliche Abarten solcher Typen, mit Deckeln, mit zwei Henkeln, auf
drei FüBchen gestellt u. s. w. verleihen dieser Gruppe bescheidene Ab-
wechslung. Eine besondere Art von Tassen ist noch zu erwähnen, die
an kraterförmige Vorbilder erinnert. Einem trichterförmigen hohen Rand
folgt ein kurzer Bauch. Ein Beispiel der Ausstellung vom Jahre 1811
dürfte wohl eines der frühesten sein, denn in Mode kommt diese Form
erst in der Zeit der Decadence.
In derselben Weise, wie bei den hier besprochenen Gefäßformen,
findet auch beim Tafelservice in der Zeit von 1784-1810 ein Fort-
schreiten in der Entwicklung sogenannter classischer Formen statt. Ein
Suppentopf in niederer Vasenform in den Sammlungen des Museums
vom Jahre 1807 ist ein gutes Muster hiefür. Die Ausstellung selbst bietet
in mehreren Wochenbettschalen, die auch nach dem Vorbilde dieser
vasenförmigen Soupieren rnodellirt sind, weitere Beispiele.