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dass das so Erbaute gegenüber den früheren großen Kunstepochen Stand
halten kann, und auch der Nachwelt gegenüber als monumentale Leistung
zu behaupten sich vermöge. Die Ausstellung der Entwürfe und ausge-
führten Bauwerke FersteYs, welche Eitelberger mit dem ihm eigenen
hohen Verständniss bald nach dem Tode des Meisters veranstaltete, zeigte
uns seine künstlerischen Arbeitswege, das unermüdet neue Suchen, nach-
dem er im ersten Wurf schon gefunden zu haben schien, und zwar so,
dass sich ein Anderer bei diesem Fund ganz und gar zufriedengestellt
hätte. Wir sahen da schrittweise den Werdeprocess seiner Projecte, die
Phasen und Wandlungen derselben; auch dies wurde ersichtlich, wie
selbst während des bereits fortgeschrittenen Baues veränderte Ent-
schließungen, entscheidende Correcturen eintraten.
Inmitten all' dieser Arbeit wusste er wohl und musste es auch
wissen, dass sein Name mit dem Begriff der neuen, auf wohlgeprüfte
Stilgrundlagen gestellten Wiener Architektur untrennbar verknüpft sei.
Dabei hatte er aber durchaus den reinen, edlen Drang, seine bedeutenden
Mitgenossen hochzuhalten, mit voller, rückhaltsloser Künstlerfreundschaft.
Einen tragisch ergreifenden Eindruck macht der Gratulationsbrief FersrePs
an Theophil Hansen zu seinem 70. Geburtstage; eine künstlerische Con-
fession in den letzten Lebensstundcn, welche der Meister dem Sohne
noch klaren Geistes in die Feder dictirte. Nur folgende Stellen seien
hervorgehoben: uJedem Menschen ist sein Lebensweg vorgezeichnet. Was
er schafft und wirkt, ist Resultat seiner Individualität. Wie sehr drängt
mich meine Empfindung dazu, Dir heute zu sagen, wie gerade Deine
künstlerische Individualität so außerordentlich erfolgreich für unsere Zeit
werden musste. Und siehe da, ein Schicksal, wie es grausamer kaum ge-
dacht werden kann, bestimmt, dass Deine beiden jüngeren Fach- und
Kampfgenossen (ich selbst und Friedrich Schmidt) dem schönen Feste
Deiner 70. Geburtsfeier fernstehen, während gerade ihnen die Verpflich-
tung obliegen würde, Dich heute auf den Schild emporzuheben. Sei es
mir wenigstens gestattet, in flüchtigen Zügen zusammenzufassen, was
ich Dir sagen möchte, wenn ich so glücklich wäre, Dir heute persönlich
gegenüberstehen zu können-n. Der Brief überfliegt nun ein ganzes Zeit-
alter: die allrnälige Erlösung der Baukunst vom Banne des Buraukratismus
seit dem Jahre 1848; die außerordentliche bauliche Entwicklung Wiens
seit den sechziger Jahren, wo gleichwohl nur von einigen Künstlern jene
Richtung vorgezeichnet wurde, die man heute allgemein mit dem Namen
"Wiener Stile benennt u. s. f. Und nun folgt wieder der höchst be-
metkenswerthe Ausspruch: vFreund Schmidt und ich hätten heute einen
schönen Anlass gefunden, öffentlich zu erklären, wie Künstler, verschie-
denen Richtungen angehörig und doch den gleichen Zielen zustrebend,
in fOTKSChIelIIIIClCIU geistigen Wettkampfe nie andere als rein sachliche
Interessen aufkommen lassen werden, sobald sie die Kunst und sich ge-
genseitig achten . . .1