hohen Räume in absolut sicherer Weise mit Wölbungen zu über-
spannen lehrte.
Hier haben wir nun ein Beispiel, dass eine thatsächlich fremde
Kunstweise - nicht eine nächstverwandte - zur Einführung gelangt ist,
eine fremde Kunstweise, die zugleich eine Bereicherung, einen Aufschwung
bedeutete. Und doch ist es bisher noch Niemandem eingefallen, diese
Einführung der Gothik nach Italien als eine Renaissance zu bezeichnen.
Wir müssen uns daher fragen, wodurch unterscheidet sich dieser Process
des Aufkommens einer neuen Kunstweise von demjenigen, welcher dem
Aufkommen der karolingischen Renaissance und der toscanischen Proto-
renaissance zu Grunde gelegen hatte? Der grundsätzlichen Unterschiede sind
zwei: i. Der Uebergang zu dem Neuen d. i. zur Gothik, ist in Italien nicht
sozusagen im Verlaufe der normalen Entwicklung erfolgt, wie jene Renais-
sancen, sondern jäh und unvermittelt, gleichsam durch einen plötzlichen Ruck.
Nicht die italienischen Künstler sind selbst, aus künstlerischen Erwägungen
heraus, allmälig zu einem Verständnis für die gothischen Formen gelangt,
sondern diese Formen haben sich gewaltsam, in ihrem unwiderstehlichen
Siegeslaufe durch Europa, den italienischen Künstlern aufgedrängt.
2. Die Formen, deren Nachahmung man sich zuwandte, waren nicht
aus einer früheren heimischen, nicht aus der römisch-antiken, nicht aus
einer nächstverwandten Kunstweise entlehnt, sondern von einer dem
Wesen nach fremden, einem anderen Boden entwachsenen, unter anderen
äußeren Verhältnissen herangebildeten und zur Reife gediehenen Kunst.
Auf die vorübergehende Herrschaft des gothischen Stiles in ltalien er-
folgte nun die Begründung derjenigen Kunstweise, die wir die vRenaissanceu
im engeren Sinne nennen. Und zwar denken wir dabei zunächst an die
italienische Renaissance, die nicht blos zeitlich der deutschen, franzöv
sischen u. s. w. Renaissance vorangeht, sondern auch an kunsthistorischer
Bedeutsamkeit jeder anderen Renaissance unvergleichlich überlegen ist.
Aber selbst innerhalb dieser italienischen Renaissance der neueren
Zeit haben wir eine sachliche Beschränkung vorzunehmen. Man spricht
von einer Frührenaissance, einer Hochrenaissance und einer Spät-
renaissance in Italien. Eine Renaissance im eigentlichen Sinne ist aber
blos die Frührenaissance gewesen. Die Hochrenaissance umfasst schon
das volle Heranreifen derjenigen Formen, die in der Frührenaissance zur
ersten Blüthe und Entfaltung gelangt waren. Sie kann also nicht mehr als
eine Wiedergeburt gelten, denn sie bedeutet bereits eine Vollendung, eine
Reife. Vollends gilt dies von der Spätrenaissance, die ein ganz selbständiges
Producr der Weiterentwicklung der Hochrenaissance gewesen ist, ähnlich
wie im mittelalterlichen Norden der gothische Stil das selbständige
Product der Weiterentwicklung des romanischen Stils. Wir werden also
unsere nächsten Betrachtungen blos auf die italienische Früh-
renaissance, das sogenannte Quattrocento, zu beschränken haben.
(Fortsetzung folgt.)