Kunstperiode herangebildete Kunst begegnet, dort pflegen wir von einer
Renaissance, einer Wiedergeburt der Kunst zu reden. Wir denken uns
dabei aber nicht die Kunst im Großen und Ganzen wiedergeboreni
sondern nur die bessere, die nachahmungswürdigere, die ältere Kunst,
von deren Höhe man inzwischen aus irgend welchen äußeren Gründen
herabgesunken war. Und die Geschichte lehrt, dass mindestens bis zum
16. Jahrhundert, also bis an die Schwelle unserer, der neueren, der
modernen Zeit, jede solche Renaissancebewegung schließlich zur Begrün-
dung und Entwicklung einer wesentlich neuen Kunstblüthe geführt hat,
Eine nähere Untersuchung der Bedingungen, unter denen die von
der Kunstgeschichte bisher verzeichneten Renaissancen in's Leben ge-
treten sind, darf des historischen Interesses sicher sein, das unsere Zeit
so feinfühlender Massen gerade den Stadien des ersten Keimens und
Werdens auf allen, der historischen Forschung zugänglichen Gebieten
entgegenbringt. Aber nicht genug damit: der Gegenstand darf über das
rein wissenschaftliche, historische Interesse hinaus auch ein aktuelles,
praktisches in Anspruch nehmen. Die Kunst des 19. Jahrhunderts, die
moderne Kunst, ist ja charakterisirt durch das rastlose und unermüdliche
Streben und Trachten nach einer höheren Blüthe, durch das Suchen nach
einem Auswege aus dem unmittelbar Vorangegangenen, durch das leiden-
schaftliche Verlangen nach einer besonderen, eigenartigen Stilweise. Bis
in die klassizistische Zeit, also bis in den Anfang unseres Jahrhunderts,
gehen die Versuche zurück, aus der durch die italienische Renaissance
des 15. Jahrhunderts begründeten Kunstweise der neueren Zeit heraus, zu
einem anderen, originellen, unseren geänderten Culturverhältnissen an-
gepassten Stil zu gelangen. Was wir Modernen damit anstreben, ist also
gewissermaßen auch nichts anderes als eine Renaissance, eine Wieder-
geburt der Kunst, und dies umsomehr, als auch die erste Grundbedingung
für eine Renaissance der Kunst in den heutigen Kunstbestrebungen vorliegt:
d. i. das Anknüpfen an frühere, vergangene Stilweisen. Aber es ist mit
diesen heutigen Bestrebungen bisher im Allgemeinen nur beim Versuchen
geblieben. Einen Erfolg, einen vollen, unzweifelhaften Erfolg auf der
ganzen Linie des Kunstlebens, haben die modernen Renaissancebestrebungen
bisher nicht aufzuweisen, oder mit anderen Worten: das 19. Jahrhundert
hat es bisher noch zu keinem eigenen Kunststil gebracht.
Diese Wahrnehmung drängt uns sofort zu fragen: Was wohl die
früheren Renaissancen der Kunst, zum Unterschiede von der heutigen,
so rasch und sicher zum Ziele geführt haben mag? Welche sind die
Bedingungen gewesen, unter denen jene früheren Renaissancen entstanden
sind, wiederum zum Unterschiede von der heutigen? Versuchen wir es
im Wege der historischen Betrachtung, eine Antwort auf diese Fragen
zu linden.
Die Kunstgeschichte verzeichnet bekanntlich mehrere Renaissancen der
Kunst. Diese streng wissenschaftliche Auffassung ist wohl zu unter-
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