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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 3)

 
das gleiche, wie dasjenige der karolingischen, nur ist sie eben einige 
Jahrhunderte später gefallen, als die nordische Renaissance. ln ltalien 
war nämlich die Verwilderung der Kunstformen in der Völkerwanderungs- 
zeit niemals so weit gediehen wie im Norden, dafür hat es aber in Mittel- 
italien auch keine so energische Umkehr gegeben, wie sie Karl der Große 
in seinem Frankenreiche angebahnt hat. Das Versäumte wurde nun im 
m. und I3. Jahrhundert nachgeholt. Auch hier wollte man durchaus nicht 
von vornherein etwas völlig Neues schaffen. Die Basiliken und Central- 
bauten, die man zu dieser Zeit in Florenz und Pisa gebaut hat, bedeuteten, 
wenigstens in der ursprünglichen Absicht, keine Neuerung. Man setzte damit 
zunächst blos die Bauweise fest, die man von früheren Jahrhunderten ererbl 
hatte. Aber waren die früheren Werke, etwa vom 6. bis 10. Jahrhundert, 
überwiegend sozusagen Nothbauten gewesen, so beginnt man ihnen jetzt 
einen monumentalen Charakter zu geben. Man wählt zu diesem Behufe 
nicht blos kostbare Materialien, man beginnt z. B. auch die Massen ge- 
fälliger zu gliedern, die Horizontalen feiner zu profilieren, und zu diesem 
Behufe bedient man sich, genau wie die Franken in der karolingischen 
Renaissance, der erhaltenen Vorbilder aus der spätantiken römischen Kunst. 
Vielleicht noch deutlicher lässt sich dieses Verhältnis durch ein 
Beispiel aus der Skulptur jener Zeit veranschaulichen. Zu den Reliefs 
seiner Kanzel im Baptisterium zu Pisa hat Niccolö Pisano für seine 
Darstellungen aus der biblischen Geschichte mehrfach gewisse antike 
Reliefs heidnischen lnhalts, Werke spätrömischer Kunst, unmittelbar ver- 
wendet. Hat aber der Künstler damit etwas ganz Neues in seine Kunst 
einzuführen geglaubt? Keineswegs. Gerade was das Typische in der 
statuarischen Kunst in ltalien vor Niccolo Pisano's Auftreten ausmachte, 
das kam direct, ja starr und verknöchert, von der spätrömischen Antike 
her. Die Bildung der Köpfe, die Haltung der Figuren und ganz besonders 
die Gewandbildung, die Faltendraperie hatte seit der antiken Zeit durch 
die ganze Völkerwanderung hindurch nicht die geringste Aenderung oder 
Fortbildung erfahren. Ja gerade das künstleriche Unvermögen, das in den 
barbarischen Zwischenzeiten platzgegriffen hatte, musste sich nothge- 
drungenermaßen möglichst enge und unverwandt an die aus besseren Kunst- 
schalfenszeiten überlieferten Vorbilder anklammern. Die antik-römischen 
Formen waren nur in Folge des Unvermögens in der barbarischen 
Zwischenzeit verroht, verwildert, entbehrten der Feinheit, sowohl in der 
Auffassung, als in der Ausführung. Das erkannte Niccolö Pisano; er wurde 
sich inne, wie weit höher die betreffenden antiken Reliefs über seinen 
zeitgenössischen standen, und er suchte die Vorzüge der antiken Reliefs 
durch Nachahmung auf seine eigenen zu übertragen. Also wiederum die 
gleichen Erscheinungen, wie wir sie bei der karolingischen Renaissance 
beobachten konnten: Erkenntnis von einem besseren Früheren, und Nach- 
ahmung desselben, aber nicht behufs gewaltsamer Abkehr von dem Ge- 
wordenen, sondern nur zu dessen Verbesserung, was wiederum nur dadurch
	        
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