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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 4)

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daraus die Nothwendigkeit, zu untersuchen, ob auch diese nichtitalienischen 
Renaissancen des 16. Jahrhunderts jenen Charakter zur Schau tragen, 
den wir als allen bisher betrachteten Renaissancen gemeinsam festgestellt 
haben. Es genügt, zu diesem Zwecke nur eine einzige von den genannten 
vier nichtitalienischen Renaissancen in's Auge zu fassen; was von dieser 
einen gilt, das gilt auch von den drei übrigen. Wir wollen die deutsche 
Renaissance zum Beispiele wählen, weil uns die Denkmäler dieser am 
nächsten liegen. 
Wir müssen wiederum fragen: welche war die vorhandene Kunst- 
weise, die der deutschen Renaissance unmittelbar vorausging? Warum 
schien diese vorhandene, historisch gewordene Kunstweise dem Zeit- 
geschlechte nicht mehr zu genügen, und welche war die als nachahmungs- 
würdig befundene Kunst, mit der man es unternahm, die eigene, ver- 
hesserungsbedürftige zu erneuern, eine Renaissance der eigenen Kunst 
damit zu begründen? 
Das Bild, welches die deutsche Kunst am Schlusse des Mittelalters, 
unmittelbar vor dem Beginne der sogenannten deutschen Renaissance, 
darbot, ist durchaus kein unerfreuliches zu nennen. Ein ganz eigenes, 
kräftiges Leben beherrschte die spätgnthische Kunst Deutschlands. Ver- 
besserungsbedürftig erschien diese deutsch-gothische Kunst nur in einem 
Falle: wenn man sie in Vergleich setzte mit der gleichzeitigen italienischen 
Renaissance. Was die reine Formensprache betrilft, so war die italienische 
Kunst am Beginne des 16. Jahrhunderts der deutschen unstreitig über- 
legen, das musste jedem aufmerksamen Auge klar werden. Dazu kam 
noch ein weiterer Umstand: Der gothische Stil hatte in Deutschland nur 
das rein Dekorative, die Freude am Schmuck, sehr wesentlich beschränkt 
und zurückgedrängt. Es ist eine Erscheinung, die sich fortwährend in 
der ganzen Kunstgeschichte wiederholt, dass der dem Menschen ein- 
geborene Schmückungstrieb jedesmal, nachdem er einige Zeit unterdrückt 
worden war, wieder um so mächtiger hervorbricht und emporlodert. 
Ein solcher Stimmungsumschwung vollzog sich nun in Deutschland eben 
am Beginne des 16. Jahrhunderts. In diesem selben Augenblicke, als sich 
die unvertilgbare Schrnuckfreudigkeit in den Deutschen wiederum zu 
regen begann, lernte man eine auswärtige Kunst kennen, die gerade nach 
der decorativen Seite hin einen schier unübersehbaren Reichthum an 
Motiven darbot, einen Reichthum, gegen welchen der decorative Formen- 
schatz der einheimischen Kunst, der deutschen Gothik, dürftig und arm- 
selig erscheinen rnochte. 
So erklärt es sich, dass man in Deutschland die eigene, heimische 
Kunst am Beginne des 16. Jahrhunderts für verbesserungsbedürftig oder 
doch für bereicherungsbedlirftig ansah. Es ist aber mit dem Gesagten 
auch schon die dritte Frage beantwortet: welcher anderweitigen Kunst- 
weise man sich bedient hat, um mit ihrer Hilfe eine Verbesserung, 
Bereicherung der Renaissance der deutschen Kunst herbeizuführen; es
	        
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