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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe X (1895 / 5)

Befruchtung des Kunstschalfens; das ist in dem sogenannten Stil Louis XVl. 
geschehen, den u. A. Gottfried Semper eine kleine Renaissance genannt 
hat, weil diesem Stil in der That nicht alle Originalität abzusprechen ist. 
Als aber die Kunstgeschichte endlich die unbestrittene Dictatur erlangt 
hatte, begann jene kahle und völlig unfruchtbare Kunstperiode, die wir 
nach Napoleon l. das Empire nennen, die aber weit herab bis gegen 
die Mitte des ig. Jahrhunderts geherrscht hat. Es ist bezeichnend, dass 
die ganze Zeit des Empirestils hindurch sich immer wieder schüchterne 
Versuche wiederholt haben, gleichsam tastend an die der classicistischen 
unmittelbar vorangegangene Stilweise, d. h. an das Rococo anzuknüpfen. 
Man erkennt daraus, wie die Künstler selbst es zeitweilig empfunden 
haben mussten, dass bei der strengen Nachahmung der griechischen 
Antike nichts Bleibendes, Fruchtbares, Zukunftsreiches herauskommen 
könne. Zum allgemeinen Bewusstsein ist die Hoffnungslosigkeit der classi- 
cistischen Bestrebungen erst gegen die Mitte des Jahrhunderts durchge- 
drungen. Bis dahin hatte man immer noch im Wahne gelebt, dass sich 
die Kunstentwicklung in einer aufsteigenden Linie bewegt, dass man den 
Blick nach vorwärts, in die Zukunft gerichtet hätte, während man bereits 
thatsächlich beharrlich nach rückwärts schaute. 
Um das Jahr 1850 war die Einsicht endlich eine ziemlich allgemeine 
geworden, dass die Nachahmung der altgriechischen Antike die gehoHte 
Verjüngung der Kunst nicht gebracht hatte. Man empfand wiederum, 
dass es mit der Kunst auf dem bisherigen Wege nicht weiter gehen könne. 
Da zeigte sich nun erst recht die ganze verhängnissvolle Bedeutung jenes 
Momentes, da man zum ersten Male die herkömmliche Bahn des eigenen 
nationalen Schaffens verlassen und die Formen einer auf fremdem Boden 
erwachsenen Kunst nachzuahmen sich entschlossen hatte. Alle Kraft zu 
einer Selbstbestimmung war in Folge dessen aus der deutschen Kunst 
gewichen; sie konnte sich nur mehr bewegen in Anlehnung an eine fremde 
Kunst. An Stelle der griechischen Antike musste abermals eine andere, 
und zwar eine fremde Kunstweise als nunmehr zu beobachtendes neues 
Vorbild gesetzt werden. Wer vermochte aber eine solche Kunstweise zu 
lehren? Wiederum nur die Kunstgeschichte. Anstatt sich von derselben 
zu emancipiren, begab man sich abermals in ihre Knechtschaft. 
Welches war nun die Kunstweise, der man sich jetzt als neuem, 
leitendem Vorbilde überließ? Der griechischen Antike zunächst gelegen 
wäre die römische Antike gewesen, d. i._jene Kunstweise, der alle die 
glorreichen früheren Renaissancen ihre so fruchtbringende Entstehung zu 
verdanken hatten. Aber von dieser Antike wollte die damalige Kunst- 
geschichte nichts wissen. Das Römische galt als Verfallszeit, als die Zeit 
einer verwerflichen Trübung des reinen hellenischen Schönheitsgedankens; 
die Kunstgeschichte fand es nicht passend, sich damit zu beschäftigen, 
und damit war zugleich gesagt, dass auch die schalfende Kunst selbst 
mit der römischen Antike nichts zu thun haben dlirfte. Diese verhäng-
	        
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