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Lottvra-Iasoam. lm Louvre-Museum wurde vor mehreren Wochen ein Saal
' afrikanischer Alterthümer eröffnet, der für die Geschichtsforscher und Archäologen von
größter Bedeutung sein wird. Der Saal liegt zur Rechten der großen Galerie Denon.
Ein außerordentlich werthvolles Stück der rein griechischen Kunst ist der Kopf einer
geflügelten Meduse. Neben ihm beündet sich eine imposante Frauenstatue, die der Hal-
tung nach zu schließen die Schamhaftigkeit darstellen muss. ie Gewandung umhüllt den
Körper in wahrhaft prächtigen Falten, die denen sehr ähn ich sind, die man auf den
Tanagra-Figürchen bemerkt. Eine gleichfalls ganz verhüllte Gestalt römischer Herkunft,
welcher der Kopf fehlt, bildet das Gegenstück dazu. ln einer Fensternische erblickt man
einen sehr schonen Bruchtheil eines Sarkophags, der einen gehelinten, die Waffe schwin-
genden Krieger aufrecht vor einem Pferde darstellt. Diese Gegenstände stammen alle aus
Algerien und Tunesien. Tripolis hat nur den unteren Theil einer Venus geliefert, die
ihr Gewand mit der Linken aufhebt; aber es ist eines der schönsten Stücke, besonders
die Beine sind mit ausgezeichneter Feinheit behandelt. Karthago ist sehr reichlich ver-
treten, u. A. durch einen riesigen Serapiskopf, der eine Dornen- und Blätterkrone trägt
und im Barte und in den Haaren Spuren von rother Farbe aufweist; ferner durch einen
sehr schönen Neptunskopf, bei dem gleichfalls Farbenspuren bemerkbar sind. In diesem
Theile der Sammlung ist außerdem die Kolossalstatue eines der Dioskuren mit trichter-
formiger Mütze, einen Zipfel des Gewandes über die linke Schulter geschlagen, einen
Pferdekopf zu Füßen, hervorzuheben. Eine sehr interessante Sammlung von Bildsaulen
und Bruchtheilen, die im Jahre i85z von dem Bey von Tunis geschenkt wurde, wird
hier dem Publicum zum ersten Male zugänglitih gemacht, Der Oberkörper eines nackten
Mannes, ein in bauschige Kleider gehüllter Acdil, ein prächtiger Torso eines römischen
Kaisers, dessen Panzer in Relief zwei reizende Darstellungen der Siegesgottin zeigt,
bilden die Hauptstücke derselben. Die Geschichte dieses Gescbenkes ist sehr merkwürdig;
die Collection war im Jahre 185a von Tunis auf einem Transportdampfer des Staates
abgeschickt worden, aber noch nicht in den Besitz des Louvre gelangt, als der Custos,
Herr de Villelosse, im Jahre 1874 seine Reise nach Tunis unternahm. Man fragte ihn
dort, ob das Museum mit dem Geschenke zufrieden sei. Er erwiderte, er habe nie davon
gehört und könne deshalb auch keine Auskunft ertbeilen. Als er darauf nach Frankreich
zurückkehrte, ließ er Nachforschungen in den Archiven des Louvre anstellen, fand aber
keine Spur von der Sendung des Bey. Zehn Jahre später besuchte er das Arsenal von
Toulon und entdeckte da in einem Schuppen eine Sammlung von antiken Bildsaulen,
über die ihm indessen Niemand Auskunft ertheilen konnte. Er erkundigte sich danach
im Marineministerium, stöberte in zahllosen Actenbundeln nach und entdeckte schließlich,
dass das, was er in Toulon gesehen hatte, die berühmte Sendung des Bey aus dem Jahre
185a sei. Er reclamirte im Namen des Museums die Gegenstände, aber die Marine-
verwaltung verweigerte die Herausgabe derselben. Um die Sammlung zu erhalten, mussten
jahrelange Verhandlungen geführt, unzählige Berichte hin- und hergesendet und erbitterte
Kämpfe zwischen den Bureaux der Marine und der schonen Künste ausgefochten werden.
Ausgrabungen. Die Ausgrabungen am Colosseum in Rom haben zu der Auf-
deckung einer großen Anlage von sechs mit Halbsäulen verzierten und ursprünglich durch
Bogen verbundenen Pfeilern geführt, in denen Reste der Thermen des Titus erkannt
worden sind. Die Thermen sind nach der Vollendung des Colosseun-is rasch gebaut, und
es ist bemerkenswerth, dass die Maße und Verhältnisse der Architekturglieder des Colos-
scums genau entsprechend in der neu aufgefundenen Anlage wiederkehren. Von einem
im 4. oder '5. Jahrhundert vorgenommenen Umbau haben sich neben den Pfeilern und
Halbsäulen Mauerreste erhalten, die mit Mustern imitirter Marmor-lncrustation bemalt
sind. Aus ungefähr derselben Zeit stammt die Anlage eines Friedhofes nahe bei dem
Saulenbau. Es sind mehr als 50 Gräber über einen Flächenraum von 150 Quadratmeter
hin und in verschiedener Tiefe geöffnet worden. Die Ausstattung war dürftig: ln zehn
Gräbern fand sich je eine kleine Vase aus Thon; an einem Grabe war eine christliche
Inschrift noch erhalten. Unter den Einzelfunden, die während der Ausgrabung gemacht
sind, befinden sich neben vielen Architekturstücken auch zahlreiche Sculptur-Fragmente,
das Meiste, wie es scheint, geringwerthig, aber nicht Alles; so ist in einem alterthüm-
liehen weiblichen Torso eine Replik der berühmten sogenannten Hestia Giustiniani des
Museo Torlonia zum Vorschein gekommen.
Für die lledncdon venuumrtlich : J. Fulvluic: und F. Ritter.
Sellnlverllg des lt. k. OGIIGII. Mulnlmu für Kunsl und lnduslriu.
Bnrhdnlcknd von cm GumlrPl au... n. um.