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Contraste mit den Zuständen des Reiches 9), allein der Imperator trägt
nicht nur iigürlich auf seinen Bildern den Nimbus ums Haupt, der
Glanz desselben leuchtete noch immer bis in die Sümpfe der slavischen
Wälder und bis an die finnischen Seen und sollte noch lange in den
Augen der Nordvölker magische Kraft behalten.
Mit dem weströmischen Reiche verschwindet auch der alte, ohnehin
schon entartete lmperatoren-Medaillon; auch die Byzantiner, sonst die
treuesten Bewahrer der antiken Form, haben ihn außer sporadisch in
der ersten Zeit nach der Reichstheilung nicht mehr verwendet. Sein
Aufhören fällt etwa mit dem Verschwinden der lateinischen Staatssprache
zusammen. Der Stempelschnitt bleibt natürlich durch die Münze fort-
während in Uebung; mehr als die kümmerlichen Producte der mittel-
alterlichen Münzstätten erhielt aber ein anderer, jetzt zu viel größerer
Bedeutung kommender Zweig der Graveurkunst den Zusammenhang auf-
recht. Die Siegel") füllen die große Lücke aus, welche in der Geschichte
der Medailleurkunst während des Mittelalters klafft; denn die Arbeit des
Siegelstechens ist, technisch betrachtet, dieselbe wie bei der Herstellung
einer Medaillenmatrize. An ihnen lässt sich die Entwicklung eines neuen
von der alten Kunst völlig abweichenden Stiles, des heraldisch-orna-
mentalen, verfolgen, dessen Ursprung dem Norden, dessen Ausbildung
der Gothik Frankreichs angehört.
Denn von der Wende des 13. Jahrhunderts an ist dieses Frankreich
zum ersten Mal in Cultur und Kunst, mit seinem Ritterwesen und seiner
Scholastik, in der Poesie seiner Trouveres und Troubadours, sowie in
seiner neuen Bauweise und Tracht das führende Land für alle abend-
ländischen Völker, Selbst Italien kann sich diesem Eintiusse nicht ganz
entziehen, nimmt ihn aber viel selbständiger auf; hier auf diesem tausend-
jährigen Culturboden sind doch ganz andere Erinnerungen wach als
selbst in den so intensiv romanisirten Provinzen Gallien und Spanien;
hier wohnt im Thale noch dasselbe Latinervolk, das einst in Toga und
Sagum einherschritt, wenn auch oben im festen Kastell über dem Muni-
cipium der fremde Feudalherr wie ein Falke im Nest sitzt; ganz anders
als der germanische Adel in den slavischen Marken des deutschen Reiches,
der seine Stammesart bis auf den heutigen Tag vollständig gewahrt hat,
wird jener sehr bald selbst zum Romanen. Und so ist das Bewusstsein
9) Solche pfßndige Goldmedaillons, zumeist Unica, bilden einen kostbaren Besitz des
kunsthistorischen Hofmuseums. Sie stammen zum Theil nus einem Barblrenlchltze, der
im vorigen hhrhundert zu Szilägy-Somlyö in Siebenbürgen gefunden wurde. Noch König
Chilperich erhielt, wie Gregor von Tours erzählt, ein ganz ähnliches schweres Goldstück
mit der eben genannten Aufschrift von Tiberius II. zum Geschenke und wies es dem
Geschiehtschreiber der Franken als ein kostbares Stück seines Schatzes vor.
") Leeoy de in Marche, Les scenux; Tresor de glypt. et nurn. Sceaux (Paris 1834);
Hefner, Die deutschen Kaisersiegel. Ueber mittelnlterliehe Denkmünzen ist gehandelt
von Dunnenberg in der Zeitschr. für Numismatik, Bd. Xlll, 325.