von Unbekannten lässt. Es sähe dann aus, als
hätte man ihnen etwas vorenthalten wollen . . .
DER FREMDE: Es ist auch gar keine Zeit
mehr; ich höre das Murmeln der Menge schon . . .
MARIE: Sie sind da . . . Eben gehen sie an
der Hecke vorüber .. . (Martha kommt.)
MARTHA: Da bin ich. Ich habe sie bis
hierher gebracht. Ich habe sie gehiessen, auf der
Strasse ZU warten. (Man hört Kindergeschrei.) Weh!
Die Kinder schreien noch. Ich hatte ihnen doch
verboten, mitzukommen . . . Aber sie wollten auch
Zusehen, und die Mütter gaben ihnen nach . . . Ich
will ihnen sagen . . . Nein, sie sind schon ruhig.
— Ist hier alles so weit? — Ich habe den kleinen
Ring mitgebracht, den man an ihr fand . . . Ich
habe auch etwas Obst für das Kind . . . Ich habe
sie selbst auf die Bahre gelegt. Sie sieht aus, als
ob sie schliefe . . . Ich habe viel Mühe gehabt;
ihr Haar war widerspänstig . .. Ich habe auch
Feldblumen pflücken lassen. Schade, dass keine
besseren da waren. . . Aber was treibt Ihr denn
hier? Warum seid Ihr nicht bei ihnen? . . . (Sie
blickt nach dem Fenster.) Sie weinen nicht? Sie ...
Ihr habt's wohl nicht gesagt? . . .
DER ALTE: Martha, Martha, es ist zu viel
Leben in Deiner Seele. Du kannst nicht ver
stehen . . .
MARTHA: Warum soll ich nicht verstehen?
(Sie schweigt lange, dann in vorwurfsvollem Tone.)
Grossvater, Ihr habt es nicht über's Herz gebracht.
DER ALTE: Martha, Du weisst nicht . . .
MARTHA: Ich will es ihnen sagen.
DER ALTE: Bleib hier, mein Kind; schau
einen Augenblick dorthin.
MARTHA: Oh, wie unglücklich sind sie!
Sie können nicht mehr warten . . .
DER ALTE: Warum nicht?
MARTHA: Ich weiss nicht, aber es geht
nicht . . .
DER ALTE: Komm hierher, mein Kind . . .
MARTHA: Wie geduldig sie sind . . .
DER ALTE: Komm hierher, mein Kind . . .
MARTHA: (sich umdrehend.) Wo seid Ihr,
Grossvater? Ich bin so unglücklich, dass ich Euch
nicht mehr sehe . . . Ich weiss auch nicht mehr,
wo ein und aus . . .
DER ALTE: Sieh nicht mehr hin, bis sie Alles
wissen . . .
MARTHA: Ich will mit Euch hineingehen.
DER ALTE: Nein, Martha, bleib hier . . .
Setz dich zu deiner Schwester, dort auf die alte
Steinbank, gegen die Mauer, und sieh nicht hin.
Du bist zu jung, du könntest nicht vergessen . . .
Du kannst nicht wissen, was ein Gesicht in dem
Augenblick spricht, wo der Tod darüber hinweg
geht . . . Vielleicht werden sie jammern . . . Dreh
dich' nicht um ... Vielleicht wird nichts zu sehen
sein ... Vor allem dreh dich nicht um, wenn
du nichts hörst . . . Man kann nicht im Voraus
wissen, welchen Weg der Schmerz nehmen wird ...
Ein kurzes Schluchzen aus tiefen Quellen — und
damit ist gewöhnlich alles vorbei . . . Ich weiss
selbst nicht, was ich thun werde, wenn ich es
höre ... Das hat mit diesem Leben nichts mehr
Zu thun . . . Umarme mich noch einmal, eh' ich
gehe, mein Kind . . .
(Das Murmeln ist immer näher gekommen. Ein Theil
der Menge dringt in den Garten. Man hört dumpfe Schritte
und halblautes Sprechen.)
DER FREMDE: (zu den Leuten.) Bleibt da ...
Kommt nicht näher an's Fenster ... Wo ist sie?
EINER AUS DER MENGE: Wer?
DER FREMDE: Die Andern ... die Träger ...
DERSELBE: Sie kommen in der Allee, die
zum Thore führt . . .
(Der Alte geht. Marie und Martha setzen sich mit dem
Röcken gegen das Fenster auf die Steinbank nieder. Ge
murmel in der Menge.)
DER FREMDE: Pst! nicht sprechen!
(Die ältere Schwester steht auf und will den Riegel
vorschieben.)
MARTHA: Sie öffnet?
DER FREMDE: Im Gegentheil, sie macht
ZU. (Schweigen.)
MARTHA: Ist Grossvater noch nicht herein?
DER FREMDE: Nein ... Sie setzt sich wieder
neben die Mutter . . . Die Anderen rühren sich
nicht, und das Kind schläft nach wie vor. (Schweigen.)
MARTHA: Schwesterchen, gieb mir deine
Hand . . .
MARIE: Martha . . . (Sie umschlingen sich und
geben sich einen Kuss.)
DER FREMDE: Er muss geklopft haben . . .
Sie haben alle zugleich aufgeblickt . . . Sie sehen
sich an . . .
MARTHA: Oh, mein armes, armes Schwester
chen . . . Ich muss auch weinen . . .
(Sie verbirgt ihr Gesicht am Busen der Schwester.)
DER FREMDE: Er muss noch klopfen . . .
Der Vater sieht nach der Thür ... Er steht auf ...
MARTHA: Schwester, Schwester, ich will auch
hinein . . . Sie dürfen nicht mehr allein bleiben . . .
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