Zentralblaff für Sammler, Oebhaber und Kunstfreunde
Herausgeber: Herbert ehrlich und J. Hans Prosl.
3. Jahrgang. Wien, 1. März 1911. Hummer 5.
Hanösrhriften, Inkunabeln und Holzschnittwerke.
Aus der Sammlung Canna.
>ie großartige Sammlung des freiherrn Adalbert
non Tanna geht nun ihrer Auflösung entgegen.
Der Auktion kunstgeroerblicher Objekte, die
Geheimrat Wilhelm Bode in unserer leßten
nummer geroürdigt hat, schließt sich Anfangs
April bei Gilhofer und Ranschburg in Wien
die der Handschriften, Inkunabeln und Halz-
schnittroerke an.
Es ist ein reicher Besißstand, der da
unter den Hammer kommt. Der mit zahl
reichen Illustrationen geschmückte Katalog meist
nicht roeniger als 563 Hummern auf. Die
kostbarsten Handschriften roetteifern mit Inku
nabeln und Holzschnittroerken non größter
Seltenheit, um die ein heißer Kampf entbrennen
dürfte.
(einige Prachtstücke seien hier Dargeführt.
Gine herrliche Einzelminiatur Derbildlicht
fig. 1. Das Blatt stellt den Einzug Christi in
Jerusalem dar. Die Hauptfläche des Blattes
roird oon der figurenreichen, in der Detail- roie
Gesamtroirkunq gleich künstlerischen Darstellung
eingenommen. Unten der 6zeilige rot und schroarz ge
schriebene Text („Dominica prima in adoentu domini“ etc.),
mit einem Goldinitial auf blauem stilisiertem Grund. Um
das Ganze schlingt sich eine dreischenkelige, aus Blumen
und Blüten bestehende, mit phantastischen Jagdfiguren
staffierte Rankenbordüre auf goldpunktiertem Grund. So
wohl die Hauptdarstellung als auch die Bordüre ist oon
tadelloser farbenfrische, die Gruppierung der figuren, der
landschaftliche und architektonische Hintergrund oon uoll-
endeter JTleisterschaft. Die Uliniatur ist flämisch und
stammt aus dem Cnde des 15. Jahrhunderts. (Original-
Größe 250: 175 mm.)
fig. 2 ist eine Seite aus dem nürnberger Schönbart
buch, das roohl zu den schönsten der bisher bekannten
einschlägigen Handschriften gehört. Dies gilt sowohl oom
Text, der 114 mehr oder minder ooll beschriebene Seiten
umfaßt, roie oon der künstlerischen Ausschmückung.
Wie alle Schönbartbücher, beginnt auch dieses ITlanu-
skript mit der Erzählung des Auflaufes im Jahre 1349,
auf die die gereimte Vorrede (ähnlich roie in der Ausgabe
oon Will, S. 17, mit mehreren Varianten) folgt. Auf Bl.
4 b beginnt die Geschichte des nürnberger Schönbartlaufens
1449—1539 in annalistischer form und mit Anführung
sonstiger Ereignisse der Stadtgeschichte (fehde mit dem
ITlarkgrafen Albrechf Achilles. Bau der langen Brücke.
Kapistran in Dürnberg. Auflage des Holzzolles. Besuch
der Witroe des Königs Cadislaus in nürnberg. Armbrust
schießen. Kapitel im Egidienkloster. Scharfrennen. Juden.
Pest und Elementarereignisse etc.). Speziell für die text
kritische Säuberung der in den meisten Handschriften arg
entstellten Hamen dürfte dieses Exemplar oon ganz be
sonderer Wichtigkeit sein. Schon ein flüchtiger Vergleich
mit den bezüglichen Daten in der non Drescher heraus
gegebenen Hamburger Handschrift eines Schönbartbuches
(Weimar, Ges. d. Bibliophilen, 1908) ergibt eine fülle
wichtiger und scheinbar auch richtiger Varianten.
Wie in textlicher Beziehung, so steht die Handschrift
auch in Hinblick auf ihre künstlerische Ausschmückung
roohl an erster Stelle unter den bereits bekannten Schön
bartbüchern. Während das ITlanuskript der Hamburger
Stadtbibliothek der Herausgeber bezeichnet dieses als
„zweifellos eines der schönsten“ — nur 67 figuren oon
Schönbartläufern enthält, zählt die oorliegende Handschrift
96 solcher Darstellungen in der Größe oon 364:235 mm.
Daneben sieben große Tafeln (gegen sechs in der Ham
burger Hs.) — darunter drei in der Größe Don etroa
950:235, die anderen 480, 555, 650 und 710: 235 mm.—
mit den Abbildungen des Gesellenstechens, der Hölle, des
IHeßgertanzes, des Stechens der Plattner, des Tanzes der
IHesserer etc., alles figurenreiche bewegte Szenerien in
oollendeter Aquarellausführung und reich mit Gold gehöht.
Die Handschrift ist tadellos erhalten, die Bilderbeigaben
oon besonderer farbenfrische.
Einer Handschrift französischen Ursprungs aus dem
Ende des 15. Jahrhunderts, der Horae beatae Mariae Vir
ginia ist die niiniatur (fig. 3) entnommen.
Die Handschrift enthält zwölf reizende Kalenderbilder
(lltonatsbeschäftigungen) und ebensoniele Randleisten im
Kalender, mit den Bildern des Tierkreises staffiert, fünf
halbseitige Darstellungen im einleitenden Teil (UJaria mit
dem Ceichnam Christi und oier Eoangelistenbilder in Cand-
schaft mit breiten Blumenbordüren), 16 blattgroße JTlinia-