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Radirungkann ebensowohl von äußerster Zartheit sein, wie vom kräftigsten
EHect, ebenso duftig und leicht wie von samrnttiefer Schwärze, scharf
umrissen wie von poesievoller Stimmung. Und ein jeder Künstler erreicht
dabei, was er will auf seine eigene Weise.
Heute ist diese Malerradirung nicht ausgestorben; im Gegentheil
man kann sagen in den letzten Jahrzehnten ist sie wieder aufgelebt
in einer Ausbreitung, wie sie früher nicht existiert hat. Seit einigen
Jahren haben sich sogar in verschiedenen Kunststädten Radirclubs
gebildet, welche aus dieser Kunstweise sozusagen Profession machen.
Manche Maler haben ihre Malerei ganz für die Radirung aufgegeben.
Daneben aber hat sich die Radirung heute ein anderes Feld erobert und
das ist die Wiedergabe von Gemälden, also eine richtige Vervielfältigungs-
kunst fremder Erfindung. Und auch in diesem ihren Zweige ist die
Radirung individuell, originell geblieben oder vielmehr erst geworden.
Denn nunmehr handelt es sich nicht blos darum, das Bild in seiner
Zeichnung wiederzugeben, sondern auch in seiner ganzen malerischen
Wirkung. Der leichte Duft, wie die satte Tiefe, die stille, sanfte Stim-
mung des Waldes und die sturmbewegte See, die Harmonie des Colorits
und die Stärke oder Schwäche der einzelnen Farben und Töne, ihr Ver-
halten zu einander, das alles soll und muss diese nachbilclende Art der
Radirung, wie sie heute mit allerlei Finessen geübt wird, mit kalter
und warmer Nadel, starker und schwacher Aetzung, mit Tönung der
Flächen, kann das alles leisten, aber sie fordert auch einen in seiner Art
geistreichen und findigen Künstler, der weiß, wie er mit seiner scheinbar
so einfachen Technik das alles auszudrücken hat. Und darin eben zeigt
sich die Originalität des Radirers, seine Individualität, die seinen Erfolg
und seinen Ruhm bildet.
Fast scheint es, als wolle es heute mit der Lithographie ähnlich
werden. Dem Malerradirer ist der Malerlithograph an die Seite getreten.
ln Paris hat sich sogar ein Club solcher Malerlithographen gebildet. Seit
Jahrzehnten, seit der Ausdehnung der modernen mechanischen Verviel-
fältigungsverfahren war die Lithographie als Kunst ganz in Vergessen-
_heit gerathen und wurde nur noch für populäre Arbeiten benützt, welche
auf künstlerischen Werth keinen Anspruch machten. Aber wie in der Ra-
dirung die Hand wieder in Schätzung gekommen, so haben es auch Künstler
in jüngster Zeit wieder einmal mit der Lithographie versucht und siehe
da! sie sind zu Resultaten und EHecten gekommen, welche dieser Kunst-
zweig in seiner Blüthezeit nicht gekannt hatte. Die Lithographie, die
sonst in unbestimmtem Grau und in weichen, verschwomrnenen Tönen
arbeitete, erlaubt in der That eine große Kühnheit, wenn der Künstler
sie zu benützen versteht; sie erlaubt starke Gegensätze und größere
Flächen von Schwarz und Weiß einander gegenüber zu stellen. Sie erlaubt
auch eine derbere Strichtnanier nach alter Holzschnittweise, wie sie weder
Radirung noch Kupferstich zu Gebote steht.
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