verfolgt ihren eigenen krausen Weg, bald da-, bald dorthin ablenkend,
aber nirgends brutal und unvermittelt, sondern allmälig in schön ge-
schwungener Bogenlinie. Ganz den gleichen Charakter trägt die orna-
mentale Pflanzenranke zur Schau; aber sie ist doch ganz was anderes,
sie ist weit mehr als eine bloße Nachbildung einer natürlichen Pflanzen-
ranke. Diese letztere - die natürliche Pfianzenranke - bewegt sich
anscheinend vollkommen frei, oder vielmehr - wenn wir im Sinne der
modernen naturwissenschaftlichen Erkenntniss sprechen - sie gehorcht
zu gleicher Zeit den Tausenden von Naturgesetzen, die in verschiedener
Stärke und in wechselnder Folgevon allen Seiten auf sie einwirken:
hier ihr Vorwärtsstreben fördernd, dort hemmend, da anlockend, dort
neue Bahnen weisend. Dagegen gehorcht die ornamentale Pflanzenranke
nur einem Gesetze, das aber der Bewegung um so engere Grenzen
zieht: als stilisirte Ornamentform hat sie sich dem Gesetze der
symmetrischen Bildung zu fügen. Die undulirende Bewegung, wie sie
auch der natürlichen Ptlanzenranke eigen ist, leistet einer symmetrischen
Bildung unverkennbaren Vorschub, aber diese Bewegung wird im Orna-
ment strenge abgemessen, während sie an der natürlichen Pflanzenranke
in Tempo und Richtung völlig unregelmässig. also anscheinend völlig
frei verläuft. Eine streng abgemessene Wellenbewegung der Ranke ist
in der Natur nirgends vorhanden; ihre Einführung in die decorative
Kunst ist also nicht einem bloßen Abschreiben einer Naturerscheinung
zu danken, sondern sie ist wesentlich als die freie Erfindung menschlichen
Kunstgeistes zu betrachten.
Man sollte nun denken, dass es keines besonderen Aufwandes von
künstlerischer Erfindungsgabe bedurft hätte, um die vermeintlich so ein-
fache wellenförmige Rankenverbindung in das Pflanzenornament ein-
zuführen. Und doch lehrt eine Ueberschau der ornamentalen Leistungen
der Völker des Alterthums, dass es Jahrtausende gewährt hat, bis man
endlich die erlösende Formel gefunden hatte, - dass höchst bedeutende, im
Kunstschaffen ergraute Völker sich vergebens nach dieser Richtung ab-
gemüht haben, bis es endlich einem augenscheinlich noch jungen, aber
thatkräftig aufstrebenden Volke - dessen Nachkommen es freilich vor-
behalten war, später in der Kunst den gewaltigsten und unermesslichsten
Schritt zu thun. den die Menschheit bisher überhaupt zurückgelegt hat-
gleichsam spielend gelungen ist, den einfachen, aber in seiner folgen-
schweren Bedeutung doch so entscheidenden Wurf zu thun.
Die alten Aegypter, die die ersten nachweisbaren ornamentalen
Pllanzenmotive überhaupt geschaffen haben, sind auch von der bloßen
Reihung derselben zu einer fortlaufenden Verbindung übergegangen.
Und zwar begegnen wir im altägyptischen Pßanzenornament mehreren
Arten von Verbindung der Motive untereinander. Die reifste Frucht
der diesbezüglichen Bestrebungen der Aegypter war der Bogenfries.
Die einzelnen Motive erscheinen hierbei durch fortlaufende Bogenlinien