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Volltext: Monatsschrift für Kunst und Gewerbe IX (1894 / 5)

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Nachtheil setzen müssen. Die Kunstgeschichte weiß hiefür zahlreiche Bei- 
spiele zu nennen: vielleicht das lehrreichste darunter bietet die griechische 
Vasenmalerei. Zwischen diesen beiden Extremen nun - dem allzu leb- 
losen des mineralisch-geometrischen, dem allzu lebhaften des animalischen 
Bereiches - steht das pflanzliche mitten inne. Die Erscheinung, welche 
die Pflanze dem Auge darbietet, ist keine starre und unabänderliche wie 
diejenige des Krystalls, denn in der That wohnt der Pflanze ein orga- 
nisches Leben inne, entfaltet dieselbe Wachsthum und Bewegung. Aber 
diese Bewegung ist doch wiederum keine so energische, dass sie dem 
Beschauer in wenigen Augenblicken wahrnehmbar würde. Unser Auge 
ist vielmehr gewöhnt, die Erscheinung der Plianze als eine unveränder- 
liche und unbewegliche aufzufassen, und darum stößt es sich auch nicht 
an der Unveränderlichkeit, die der künstlerischen Nachbildung einer 
Pflanze in leblosem Material nothwendigermaßen anhaften muss. Ander- 
seits verräth aber die Pflanze die ihr innewohnende Bewegungstähigkeit 
durch die individuelle Entwicklung ihrer einzelnen Theile, und damit ist 
der künstlerischen Phantasie die erwünschte Handhabe geboten, um aus 
dem Nachbilde einer Pflanze ein nicht blos schönes, sondern auch Leben 
athmendes Ornament zu gestalten. 
Ein zweiter, nicht minder triftiger Erklärungsgrund für den Um- 
stand, dass die decorative Kunst immer und immer wieder zum Pflanzen- 
ornament zurückkehrt, liegt in der Verwendungsfähigkeit desselben zu 
regelmäßigen, symmetrischen Compositionen. Die decorative Kunst 
hat es in der Regel mit der Verzierung eines Untergrundes, einer bereits 
gegebenen Kunstform zu thun, die um irgend eines praktischen Zweckes 
willen aus dem Rohstoff bereitet werden ist. Der Rohstoff als solcher 
unterliegt wiederum in den häufigsten Fällen den Gesetzen der mine- 
ralischen Masse und erfordert daher eine Behandlung in mineralisch- 
geometrischen Formen, deren oberstes Gesetz die Symmetrie ist. So 
wird die decorative Kunst vor Allem herangezogen zur Ausschmückung 
von Werken der Architektur: der Rohstoff, d. i. der Stern, aus welchem 
das Bauwerk errichtet wird, ist selbst von mineralischer Beschaffenheit 
und die einzelnen Theile des Bauwerks müssen daher in symmetrischer 
Responsion zu einander stehen. Das oberste Gesetz, nach welchem ein 
nach künstlerischen Grundsätzen aufzuführendes Bauwerk behandelt werden 
muss, ist also dasjenige der symmetrischen Vertheilung der Massen und 
Formen. Dem gleichen Gesetze werden sich im Allgemeinen auch alle 
übrigen Werke zu fügen haben, die zu irgend einem praktischen Zwecke 
durch die Kunst aus der rohen Masse gebildet werden, also insbesondere 
die Erzeugnisse der sogenannten Kunstgewerbe. So erklärt sich das Ver- 
hältniss der Abhängigkeit, in welcher anerkunntermaßen die Kunstgewerbe 
zu der Architektur stehen, und auf die Erkenntniss dieser Abhängigkeit 
ist bekanntlich unser ganzes modernes kunstgewerbliches Unterrichts- 
wesen aufgebaut.
	        
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