hat, darüber gehen die Meinungen noch auseinander. Die bedeutendsten
unter den einschlägigen Funden wurden in den Ruinen des Herren-
schlosses von Mykenä gemacht, und man hat sich hienach gewöhnt,
diese ganze Cultur als mykenische Cultur, die damit zusammenhängende
Kunst als mykenische Kunst zu bezeichnen. Auch in Bezug auf die
Datirungsfrage ist man noch nicht zu völlig übereinstimmenden und jede
Controverse ausschließenden Resultaten gelangt; aber es befestigt sich
täglich mehr und mehr die Anschauung, dass die Ueberbleibsel der my-
kenischen Cultur ihrer Entstehung nach der zweiten Hälfte des zweiten
Jahrtausends v. Chr. angehören, d. i. rund der Zeit zwischen 1600 und
xooo v. Chr., der Zeit, da in Aegypten die Ramessiden herrschten, der
Zeit, in welcher die Juden aus Aegypten auszogen und von Richtern
regiert wurden. Selbst die Frage, welchem Volksstamme wir die Träger
und Pfleger der mykenischen Cultur zuzuweisen haben, hat heute noch
nicht eine allgemein giltige und für Alle befriedigende Antwort gefunden.
Da die Träger dieser Cultur gerade den Boden bewohnten, auf welchem
wir nachmals in hellenistischer Zeit das Volk der Griechen angesiedelt
finden, so liegt die Vermuthung nahe, dass wir es hier mit Vorläufern
oder doch Componenten des späteren Hellenenvolkes zu thun haben.
In der That bricht sich diese Anschauung immer entschiedener Bahn,
trotzdem einige Momente, denen man in früheren Jahren allzu große
Bedeutung beigelegt hat, dem zu widersprechen scheinen. Man hat an
den mykenischen Funden eine ganze Reihe von Eigenthlimlichkeiten fest-
gestellt, die wir auch bei den späteren Griechen, und nur bei diesen,
antreffen. Und unter diesen Eigenthümlichkeiten, soweit dieselben das
Gebiet des Kunstschaffens betreffen, findet sich auch als höchst bezeich-
nende und entscheidende das Vorkommen des Rankenornaments!
Was keine der altorientalischen Künste zu Wege gebracht hatte;
die Verbindung von oruamentalen Pflanzenmotiven mittels der wellen-
förmig geschwungenen, rhythmisch dahinHieBenden Ranke, - das myke-
nische Culturvolk hat sie bereits gekannt und geübt, zuerst unter allen
Völkern, so viel wir wissen. Damit war das künstlerische Problem gelöst,
wonach die Altorientalen vergebens gestrebt hatten: die einzelnen Motive
weisen in ihrer Aufeinanderfolge abwechselnd nach Innen und Außen,
und sind doch sämmtlich auf eine und dieselbe gleichmäßig dahinwogende
Verbindungslinie aufgereiht. Und zwar so ausgebildet findet sich dieses
System in der mykenischen Ornamentik, dass dasselbe für alle folgenden
Zeiten typisch und mustergiltig geblieben ist. Was die Griechen später
hinzuthaten, das war blos eine Befreiung der Ranke aus dem engen
Friesstreifen und ihre Entfaltung über eine beliebige größere Fläche.
Aber das Grundschema jeder ornamentalen Rankenbildung blieb immer
das gleiche, wie es schon die mykenische Ornamentik geschaffen hatte:
entweder dasjenige der fortlaufenden oder dasjenige der intermit-
tirenden Wellenranke.